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schönsten Liebesworte, man declamirt, man lacht, man tanzt, man singt, die Decke des Zimmers ist gesprengt, und herab lächeln wohlgefällig die Engel des Himmels, die immer ihre Freude daran haben, wenn Glück, Frieden und Verträglichkeit unter den Menschen herrschen.

In jüngster Zeit ist man jedoch noch weiter gekommen, man ißt und trinkt nicht mehr, um zu essen, zu trinken und guter Dinge zu sein, man ißt einer Idee zu Ehren, und hat diesen Mahlzeiten den Namen von Zweckessen gegeben, d. h. man ißt zu einem Zweck, obgleich Andere behaupten, man schütze einen Zweck vor, um zu essen, und man sollte daher von Essenzwecken statt Zweckessen sprechen. Was man jedoch von solchen Verleumdungen zu halten habe, das wissen Diejenigen am besten, die einer Idee, einem Zwecke das große Opfer bringen, ein brüderliches Mahl zu halten, und den Gaumen, der von den vielen Toasten und Lebehochs trocken zu werden droht, mit Wein anzufeuchten.

Der Zweckesser unterscheidet sich von sehr vielen seiner Mitmenschen, namentlich aber von allen Leinwebern, durch ein auch im gewöhnlichen Leben vollmondartig strahlendes Antlitz, durch vergnüglich und menschenfreundlich blickende Aeuglein, durch ein zierlich, reputirlich und appetitlich gewölbtes Bäuchlein, zuweilen selbst durch ein Näslein, welches, statt in eine Spitze, in eine etwas röthlich gefärbte Kugelform ausläuft. Im Sprechen schnalzt er unwillkührlich mit der Zunge, als untersuche er die Bestandtheile einer delikaten Speise, oder Jahrgang, Stoff und Werth einer vorzüglichen Weinsorte. Daß die Zweckessen ihm auf’s gedeihlichste anschlagen, ist freilich hieraus ersichtlich, aber er ist es sich selbst schuldig, durch Trank und Speise seinen Leib zu stärken und zu kräftigen, der ja sonst den vielen Zwecken und Ideen, denen sich der Zweckesser opfert, auf die Dauer keinen Widerstand leisten könnte. Zweck und Idee zehren bekanntlich am menschlichen Körper, daher sind die Zweckessen erfunden, damit der Schaden, den der Zweck für sich allein am Körper anrichtet, durch das Essen wieder ausgeglichen werde.



Der Zweckesser ist eben so gut wie der Journalist, Publizist und politische Zeitungsschreiber darauf angewiesen, den Gang der Zeitereignisse genau zu verfolgen, um möglichst alle acht Tage einen Zweck und somit auch zu Gunsten des Zwecks ein Essen zu haben. Er schlägt in der Welt-, Kunst-und Literaturgeschichte nach. Auf den künftigen Montag fällt der Geburtstag irgend eines berühmten Dichters, Componisten, Gelehrten, Philosophen, Künstlers, Erfinders u. s. f. Man erinnert im Tagblatt daran, wie sehr dieser Tag verdiente, durch ein Zweckessen gefeiert zu werden, ja wie man damit die Absicht verbände, dem gefeierten Verstorbenen ein Denkmal zu eressen und zu ermahlzeiten. Man fertigt eine Subscriptionsliste an und schickt sie den Berufenen und Ausgewählten in’s Haus. An Zweckessern fehlt es gegenwärtig in keinem Städtchen Deutschlands. Das Zweck-, Ehren- und Erinnerungsmahl findet am Montage wirklich statt. Toast folgt auf Toast, Rede auf Rede, Gedicht auf Gedicht. Man ißt freilich nicht wenig, aber man trinkt auch um so mehr, weil die schwere Pflicht gebietet, nach jedem Toast, nach jedem Spruch, nach jedem Lebehoch anzuklingen und das Glas zu leeren. Die Köpfe werden heller, die Herzen wärmer, man wird sich des großen Zwecks, für den man schmaust, immer deutlicher. Der Vorsitzende ergreift den geeigneten Moment, und bringt die Errichtung einer Statue in Vorschlag, womit sich die Gesellschaft eben so sehr, als den Gefeierten ehren würde. Allgemeine Zustimmung. Man schlägt ein Comité vor, zu dessen Wahl, welches aus den tüchtigsten Zweckessern besteht, auch alsogleich geschritten wird. Ein in das Comité Gewählter klingt mit dem Messer an das Glas – allgemeine Stille. „Meine Herren!“ beginnt er, „im Namen des Comité’s danke ich Ihnen für das Vertrauen, womit Sie uns beehrt haben. Wir werden uns unsres Auftrags nach bestem Einsehen und Gewissen zu entledigen suchen, und wie der große Mann, dessen Andenken wir heute feiern, stets auf dem Wege des Lichts seiner Zeit und allen Zeiten vorangeschritten ist, so soll man auch uns stets auf dem Wege des Fortschritts finden. Soll aber das mit Ihrem Vertrauen beehrte, mit Ihrer Vollmacht ausgerüstete konnte segensreich wirken, so werden wir, angesehen die hohe Wichtigkeit des Gegenstandes, an einen noch größeren Verein von Kräften, als bei der Kürze der Zeit heute zu versammeln möglich war, denken müßen, weßhalb ich heute über acht

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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/142&oldid=- (Version vom 28.5.2019)