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Treppe auf Treppe ab durch die weiten öden Gänge und Hallen des Klosters unermüdlich fort und fort. Es mochte wohl Mitternacht seyn, da bemerkte er auf einmal, daß er nach kurzer Frist sich immer wieder in dem Gange vor Mariens Kammerthüre fand. In wen bist du denn verliebt? fragte er sich innerlich. Nun natürlich in Marie, antwortete es in ihm. Hat sie dich aber auch wieder lieb? fragte es weiter? Ihn überlief’s heiß und kalt bei dem Gedanken, daß dieses nicht der Fall sein könnte. Obgleich ihm Marie nie ein böses Wort gegeben hatte, sondern vielmehr that, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte, war sie darum verliebt in ihn? war sie seinetwegen in einer ähnlichen Stimmung, wie er jetzt? ach nein, sie lag gewiß ruhig und schlief und träumte von ihrer Katze oder von dem Essen, das Martin mitgebracht hätte. Franz gerieth bei diesem Gedanken in eine Wuth, daß er hätte Alles entzwei schlagen mögen, schon wollte er hinausstürzen aus dem Hause in den Park, wo er am dunkelsten wäre oder lieber gleich in den Fischteich hinein, denn wie sollte er leben, wenn Marie ihn nicht wieder lieb hatte? – Voll Ingrimm warf er noch einen Blick auf die Thüre des Mädchens, welche gerade in diesem Augenblicke durch den hinter einem Mauervorsprung hervortretenden Mond auf das hellste beschienen wurde, da erkannte er plötzlich, daß Mariens Träume sich, ähnlich dem Bilde einer Laterna magika, in einem Lichtkreise auf jener Thüre darstellten. Das mußte die Gabe seyn, welche ihm Herr Florian verliehen, als er ihn sterbend auf die Augen küßte. Und was zeigten jene Bilder? – Nur von ihm träumte Marie; bald herzte sie ihn, bald küßte sie ihn, bald saß sie als Hausfrau neben ihm! Franz konnte sich nicht satt sehen an den Bildern, aber der Mond trat wieder hinter eine Mauerzinne und Alles war verschwunden. Allein das betrübte ihn nicht, jetzt mußte er hinaus ins Freie und laut jubelnd lief er im Mondscheine Bergauf Bergab, durch Wald und Thal bis ihn die aufgehende Sonne und der Hunger nach dem Frühstücke, nach Hause trieben. In der Mitte des wohl schon seit mehr als einem Jahrhundert dach- und fensterlosen Refektoriums, hatte in dem von Schutt erhöhten Boden ein prächtiger Lindenbaum Wurzel gefaßt und passend für das Leben der jetzigen Bewohner mit seiner breiten Krone eine neue Decke über dem Saale gebildet. Schon bei Florians Lebzeiten war es im Sommer Gebrauch gewesen unter diesem Baume das Frühstück, Mittag- und Abendmahl einzunehmen. Die Ungeduld hatte Franz heute wohl eine Stunde zu früh hiehergeführt. Trotz seiner fieberhaften Aufregung still wie eine Bildsäule saß er da, und blickte unverwandt auf die hohe gothische Eingangsthüre, deren reiches Laubwerk und musizirende Engelsköpfe im rothen Morgenlichte glänzten.


(Schluß in nächster Nummer.)




Ballade.


Mel. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind etc.



Mit seinen wilden Knappen zwo,
Reitet der finstere Ritter Hugo,
Er reitet dahin in heftigem Zoren,
Und stachelt die Mähr’ mit spitzigen Sporen.





5
In heftigem Zoren dahin er reit’,

Weil ihn betrogen die schändliche Maid,
Die ihre Ehre gar sehr verloren,
Drum reit’ er hin in heftigem Zoren.





Mit seinem langen großmächtigen Speer

10
Ersticht er der Maid ihren Liebhaber,

Ersticht er die Maid, die ihre Ehr’ verloren,
Ersticht er sich selbst in heftigem Zoren.


Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/128&oldid=- (Version vom 17.8.2017)