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welcher Guido 1262 mit Reichsflandern beliehen wurde, bestimmtere Beziehungen auf den Fürstenstand nicht zu enthalten scheint.[1]

Ganz abweichend heisst es aber bei der Belehnung von 1298: spectabilem virum Gwidonem comitem Flandrie et marchionem Namurcensem – tanquam verum nostrum et imperii Romani vasallum Sollempniter investivimus: mit allem nämlich, was seine Vorgänger vom Reiche getragen.[2] Damit stimmt, dass in Kaiserurkunden vom Ende des dreizehnten und Beginne des vierzehnten Jahrhunderts die Grafen nie als Fürsten behandelt werden; sie heissen spectabiles oder nobiles[3]; besonders bezeichnend heisst es in Urkunde K. Heinrichs 1309: Testes – W. marchio Brandenburgensis et J. dux Brabancie dilecti principes nostri, et nobiles viri R. Flandrensis, G. Juliacensis – comites fideles nostri dilecti.[4]

Die letzten Grafen aus dem Hause Dampierre scheinen wieder für Fürsten gegolten zu haben; 1333 verkauft der Bischof von Lüttich Mecheln nobili et potenti principi domino Ludovico Flandrie comiti[5]; 1359 sagt der Kaiser ausdrücklich: illustris L. comes Flandrie princeps noster dilectus[6]; auch 1377 zählt er zu den principes illustres.[7]

Auf letzteres möchte ich wenigstens bezüglich eines Rückschlusses auf die frühere Stellung kein Gewicht legen, da wir unter K. Karl manche frühere Magnaten als Fürsten bezeichnet finden. Was den Werth der früheren Zeugnisse betrifft, so wäre zunächst etwa daran zu erinnern, dass die Grafen früher ohne Beziehung auf das Reich den Titel Princeps führten[8]; so spricht auch noch 1260 der Graf von seinen Vorgängern den principes et comites Flandrie, wie er 1292 von einem Untergebenen als nobilis princeps Flandrie bezeichnet wird.[9] Mehr Gewicht wird darauf zu legen sein, dass der Graf zu den Pares Franciae gehörte und als solcher allerdings eine Stellung einnahm, welche der der deutschen Reichsfürsten ganz entsprach. Kann das manche Ehrenvorzüge erklären, wenn er auch nicht Reichsfürst war, so wird es die Zeugnisse für das letztere nur um so gewichtiger erscheinen lassen müssen. Und diese möchte ich wenigstens so weit als massgebend betrachten, um anzunehmen, dass seine Besitzungen im Reiche nicht als Reichsfürstenthum galten, der Graf demnach auch wohl nicht eigentlicher Reichsfürst war, wenn seine ganze fürstenmässige Stellung und sein Doppelverhältniss zu Frankreich und zum Kaiserreiche es auch schwer machen, ihn bestimmter einzureihen. Von den Ausdrücken der Urkunden K. Richards müssen wir dann freilich absehen; lassen sie sich aus besondern Höflichkeitsrücksichten erklären, so möchte vor allem zu beachten sein, dass die 1298 gewählten Ausdrücke einem stillschweigenden Proteste der Reichskanzlei gegen jene früheren doch überaus ähnlich sehen.

  1. Reg. Rich. n. 71.
  2. Warnkönig 1, 99.
  3. 1298-1307: Lacombl. 2, n. 866. 868. 1036. Warnkönig 1, 53. 100.
  4. Quix 178.
  5. Miraeus 2, 1017.
  6. Lacombl. 3, n. 592.
  7. Miraeus 2, 1244.
  8. Vgl. § 6.
  9. Hugo 2, 218. 240.
Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_234.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)