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da beide unabhängig von einander auf eine dritte gemeinsame Quelle zurückgehen könnten. Für die angebliche Ableitung des Ssp. aus dem Swsp. wäre auch durch diese Annahme nichts gewonnen; es müsste dann auch dem Swsp. die gemeinsame Quelle vorgelegen haben, und da dieser nach Ausweis des Breslauer Rechts der Ssp. näher stehen müsste, könnte er schon desshalb wenigstens in den betreffenden Stellen ohne die allergezwungensten Annahmen nicht auf dem Swsp. beruhen. Dagegen würde allerdings das Breslauer Recht seine Beweiskraft für die Entstehungszeit des Ssp. verlieren, wenn die Annahme einer dritten Quelle statthaft wäre.

Diese Annahme würde aber nur dann statthaft sein, wenn das Breslauer Recht mit dem ursprünglichsten Texte des Ssp. entweder genau stimmte oder doch seine Abweichungen von demselben ganz selbstständige, ausser aller Beziehung zu der Weiterentwicklung des Textes des Ssp. stehende wären. Aber es zeigen sich im Breslauer Rechte, abgesehen von den Lesarten, schon Erweiterungen, und zwar nicht selbstständige, sondern übereinstimmende mit noch mehr erweiterten späteren Formen des Ssp., zwischen denen und dem Urtexte es demnach eine verbindende Entwicklungsstufe darstellt.

Es dürfte nun doch der allgemeine Satz schwerlich zu bestreiten sein, dass die verwandten Quellen A und B nicht selbstständig auf einer dritten Quelle x beruhen können, vielmehr B aus A abgeleitet sein muss, wenn B in Einzelnheiten seines Textes die nächste Verwandtschaft nicht zu A, sondern zu der spätern Form a desselben zeigt. Denn die nähere Verwandtschaft zwischen B und a würde nur dann jene Ableitung nicht erweisen, wenn Grund zur Annahme wäre, dass a auf die gemeinsame Quelle x oder auf B zurückgegriffen, oder B in einer uns gerade vorliegenden spätern Form a konform gemacht wäre. Das wäre möglich, wenn es sich etwa um Einschiebung ganzer Abschnitte handelte, und selbst da wenigstens dann höchst unwahrscheinlich, wenn dabei auch die ursprüngliche Einordnung derselben wiederhergestellt wäre; wo es sich um die geringfügigern, für den Inhalt oft ganz unwesentlichen Einzelnheiten des Textes handelt,

würde eine solche Annahme ganz ungereimt sein.

Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels aus dem Deutschenspiegel. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1859, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Entstehung_Sachsenspiegel_066.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)