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er lebt in Feindschaft mit dem Bruder, doch nicht ohne Grund, ist aber gutmütig und läßt sich leicht umstimmen und hält dann dauernden Frieden Gen. c. 36, 6. Von allem diesem zeigt das Bild des nachmaligen Volkes Edom das Gegenteil. Es schreckt nicht durch seine Macht, sondern muß alle Kräfte anstrengen, um sich der Übermacht des Bruderstammes zu erwehren; es ist nicht leicht umzustimmen, sondern wird vielmehr in den Propheten seiner Unversöhnlichkeit wegen gestraft. Nach der Patriarchengeschichte müßten die Philister durch die Sanftmut des nachbarlichen Verhaltens Israels und durch die Fülle göttlichen Segens, die es über Israel ausgegossen sah, freiwillig zu friedlichem Einvernehmen mit Israel haben bestimmen lassen. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Ammon und Moab waren in der Königszeit infolge der Übermacht Israels zinspflichtig. Man sieht nicht ein, wie es von diesem geschichtlichen Boden aus zu der Vorstellung und der Sage von der friedlichen Scheidung Lots von Abraham gekommen sein soll. Das damaszenische Syrien stand mit Israel in viel lebhafteren Beziehungen als Ammon und Moab. Dennoch wird kaum der Name genannt (Abrahams oberster Knecht war aus Damaskus). Laban ist kein damaszenischer, sondern ein am Euphrat wohnender Syrer. Wellhausen bezieht auf die Syrerkämpfe Gen. 49, 23–24. Ganz recht. Nur haben wir hier nicht Geschichte, in die Vergangenheit zurückgetragenes Bild der Zeit, sondern eine Weissagung. In einer Weissagung konnte sich allenfalls die Hoffnung des Sieges über die Syrer projizieren, wie sie etwa zur Zeit des Königs Joas von Israel bestand. Da aber die Volksphantasie schwerlich im geschichtlichen Moment selber gedichtet haben dürfte, sondern erst, als Israel den Ereignissen schon ferner war, so war unterdessen die Hoffnung bereits Realität geworden und es muß auffallen, daß gerade von dem Wichtigeren keine Spur in der „Projektion“ sich findet. Schließlich ist noch zu bedenken, daß eine Zeit bewußten geschichtlichen Lebens, in welcher die Geschichte der Gegenwart geschrieben wird, keine Sagen mehr bildet; sie schreibt vielleicht geschichtliche Romane, macht dieselben aber nicht zu geschichtlichen Quellen.

 Von der modernen Kritik wird auch noch dies zu Ungunsten der herkömmlichen Datierung der Pentateuchschriften verwertet, daß aus den älteren historischen Schriften für das Vorhandensein besonders des sogenannten Priesterkodex und seine Beobachtung sich allzuwenig Beweis beibringen lasse. Aber wir haben zu bedenken, daß wir in den älteren Geschichtswerken, von den Büchern Samuelis abgesehen, nur kurze Exzerpte vor uns haben, die natürlich auf das, was stehende Ordnung ist, einzugehen, weder Raum noch Anlaß haben. Gelegentliche Bemerkungen aber zeigen an, daß auch die Gesetze des Priesterkodex in Übung waren; vergl. z. B. 1 Sam. 21, 5–7 mit Lev. 10, 10; Ex. 25, 30 etc.; Lev. 24, 5. Der Priesterkodex enthält eine Reihe von Gesetzen, die nach dem Exil keine Existenzmöglichkeit haben z. B. die Gesetze über die Fremdlinge und ihren Schutz und Stellung Lev. 19, 33 etc., c. 25, 47; vergleiche dazu Neh. 9, 36 bis 37. Dazu gehört auch die Verordnung der Freistädte Num. 35. Somit entstammt also der Priesterkodex der Entstehungszeit des Volkes Israel. –