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konnte aber dieses Werk nicht selbst vollenden, denn sein apostolischer Beruf rief ihn nach dem Abendlande zurück; deshalb ließ er den Titus zurück, damit dieser die neuen Gemeinden ordne und namentlich für die Bestellung der Ältesten hin und her in den Gemeinden Sorge trage. Bedurfte nun Titus für dieses Werk an und für sich schon apostolischer Anweisung und gewissermaßen auch einer Beglaubigung durch ein apostolisches Sendschreiben an ihn, so war ihm die Stärkung des Apostels noch um so nötiger, als die Zustände der Christenheit auch in Kreta anfingen, schwierige zu werden. „Jüdische Gelehrsamkeit, die ihre unfruchtbaren Untersuchungen über geschichtliche Einzelheiten der Schrift samt den sich anschließenden Fabeln einer mehr als zweifelhaften Überlieferung zum Besten gab oder die Gemüter mit Fragen des mosaischen Gesetzes, was ihm zufolge rein oder unrein sei, behelligte, nahm die Stelle ein, welche dem Unterricht in den gewissen Thatsachen der christlichen Heilsgeschichte und der auf sie gegründeten Anweisung zu christlichem Leben und Wandel gebührte“ (v. Hofm.). Durch dieses Wesen wurde nun die Einheit gemeindlichen Lebens, sowie der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinden gefährdet. Dieses Übel hatte der Apostel jetzt vorgefunden und mit Augen gesehen,[1] als er das Morgenland wieder besuchte, und wie sehr es ihn in Anspruch nahm, davon zeugen eben die Briefe, der erste an Timotheus und der an Titus. Auch der Brief an Titus ist nur unter Voraussetzung solcher Zustände zu verstehen.

 3. Der Zweck des Briefes an den Titus ist nun kein anderer, als denselben mit Rat, Belehrung und Ermahnung zu stärken und zu unterstützen, damit er das ihm aufgetragene apostolische Werk im Sinne und Geiste des Apostels vollführe und unter den schwierigen Verhältnissen, namentlich dem bestehenden Gegensatz gegenüber, als Vertreter des Apostels in Lehre und Leitung sich richtig zu verhalten wisse.


  1. Aus der Neuheit dieses Übels erklärt sich gar manches Neue und Eigentümliche des christlichen Sprachgebrauchs des Apostels, wie er sich in den Pastoralbriefen gestaltet. Indem der Apostel neu aufgekommenen Übelständen gegenüber das Wesen des Christentums von neuen Seiten darthut, so müssen nun teils ganz neue, teils früher nur seltene christliche Bezeichnungen auftreten.