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geblieben ist, in die volle Erkenntnis der christlichen Wahrheit eingeführt werden und bei derselben fest bleiben möchten (1, 29–2, 5). Im Gegensatz gegen jene mit dem Schein einer höheren Weisheit sich umkleidende Philosophie betont der Apostel die absolute Vollkommenheit des Christentums, denn in Christo haben sie die vollkommene Gottesoffenbarung (v. 9 vgl. v. 3), in Christi Taufe die Reinigung von ihrer natürlichen Unreinheit und den Anfang eines neuen Lebens (v. 10–13), in seinem Kreuzestod die Tilgung ihrer verdammlichen Schuld (v. 14), in seinem Triumph den Sieg über alle gottfeindlichen Mächte (v. 15). Ebensowenig brauchen sie sich an die sittlichen Forderungen jener Irrlehrer zu kehren, die die Heiligung in eine (dem alttestamentlichen Standpunkt entsprechende) Enthaltung von dem Gebrauch der natürlichen Dinge, in eine selbsterwählte, trotz allem geistlichen Schein doch nur der Befriedigung des Fleisches (fleischlichen Hochmuts) dienende Askese setzen (v. 16–23).

 Damit ist die Grundlage gewonnen für den 2. Teil des Briefes, der die Leser zu wahrer christlicher Heiligung ermahnt c. 3. 4. Das neue, hier noch verborgene Leben, in das sie versetzt sind, soll sich erweisen, negativ: im Abthun aller unreinen Lust und leidenschaftlichen Wesens gegenüber dem Nächsten (5–9), positiv: in der Übung christlicher Liebe mit ihren Tugenden, christlicher Friedensgesinnung gegen den Nächsten und dankbarem Preis der Gnade Gottes mit Wort und Werk (9–17), speziell: durch rechtes christliches Verhalten in den gottgeordneten Gemeinschaftsformen des natürlichen Lebens (3, 18–4, 1). Es folgt noch eine Ermahnung zum Gebet, zur Fürbitte für das Reich Gottes, zu weisem gewinnendem Verhalten gegen die Heiden (2–6), worauf persönliche Nachrichten, Grüße und Aufträge den Brief schließen (4, 7–18).


§ 85.
Der Brief an Philemon.

 Gleichzeitig mit dem Brief an die Kolosser schickte Paulus ein kleines Sendschreiben an Philemon, ein hervorragendes Glied, vielleicht einen Vorsteher dieser Gemeinde (Phil. 1. 2. 4–7, vgl. Kol. 4, 9). – Zweck des Briefes ist die Bitte um Verzeihung und Wiederaufnahme für Onesimus, einen Sklaven, der dem Philemon entlaufen und in Rom durch Paulus Christ geworden war. – Der Wert des Briefes besteht darin, daß er zeigt, wie das Band des Glaubens und der Liebe die Christen verbindet, ohne doch die sozialen Unterschiede, z. B. den Unterschied zwischen Herrn und Knecht, innerhalb der christlichen Gemeinde aufzuheben. Der Brief ist somit ein wichtiger Beitrag für die Stellung des Christentums zur Sklavenfrage, die er nicht auf dem Weg gewaltsamer Emanzipation gelöst haben will.