Seite:Ferdinand Wilhelm Weber - Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften (11. Auflage).pdf/147

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auch die allegorische Auslegung schwierig. Nirgends ist angedeutet, daß hier eine Allegorie vorliege; sodann erscheint es als unmöglich, alles einzelne zu deuten. Aber letzteres ist längst durch besonnene Ausleger aufgegeben worden, und ersteres hat daran ein Gegengewicht, daß auch die übrige Schrift durchweg das Verhältnis zwischen dem HErrn und seiner Gemeinde als Ehe bezeichnet. Vergl. Ex. 20, 3. 5. cf. 34, 14 f. Dt. 4, 24. Jer. 2, 2. Ezech. 16, 8–14, c. 20. Hos. c. 1–3. Jes. 54, 5. Eph. 5, 25 ff. Apok. 19, 7; 21, 2; 22, 17 u. a. In dieser Anschauung lebte der Israelite; sie lag so nahe, daß der Verfasser dieselbe, ohne sie anzudeuten, voraussetzen konnte. In der That hat die Gemeinde Israel diese Voraussetzung gerechtfertigt, indem sie das Hohelied nach nur kurzem Zweifel allegorisch, nämlich von dem Verhältnis zwischen Jehova und Israel gedeutet hat. Das Targum paraphrasiert es als ein Gemälde der Geschichte Israels von der Ausführung aus Ägypten bis zur schließlichen messianischen Erlösung und Verherrlichung. Der Grundgedanke ist richtig, wenn auch die Einzeldeutung falsch ist.

 4. Demnach fassen auch wir das Hohelied als lyrisch-dramatische Schilderung von dem geschichtlichen Verlaufe des Bundesverhältnisses zwischen dem HErrn und seiner Gemeinde. Diese Schilderung zerfällt in zwei Hauptteile, deren jeder drei Abschnitte enthält.

 Über den Wechsel der Szenerie sagt Delitzsch: „Der erste Akt spielt beidemal im Speise- und Trinkzimmer der Frauen in der Königsburg (1, 2–8 spricht der Chor und Sulamith, 1, 9 tritt Salomo ein und nun spricht Salomo und Sulamith 1, 9–2, 7). Im 2. Akt ist Sulamith wieder daheim. Im 3. Akt, welcher die Vermählung darstellt, hält die Braut ihren Einzug, und was wir dann weiter hören, fällt in die Hochzeitsfeier hinein. Die Örtlichkeit des 4. Aktes ist Jerusalem, ohne sich bestimmter zu kennzeichnen. Als die des 5. Aktes gibt sich der Park zu Etham und dann Salomos dortiges Landhaus. Und im 6. Akt erblicken wir die Neuvermählten erst auf dem Thalwege nach Sulem und dann in Sulamiths elterlichem Hause. – In der ersten Hälfte der dramatischen Bilder steigt Sulamith zu Salomo hinauf, in der zweiten steigt Salomo zu Sulamith herab. Am Schlusse der ersten wird Sulamith im Königspalaste heimisch, am Schlusse der zweiten befindet sich Salomo mit ihr in ihrer galiläischen Heimat und fühlt sich da heimisch.“

 I. c. 1–5, 1. Der Liebe Entbrennen, ihr Suchen und Finden, ihr Höhepunkt in der Vermählung.

 1. 1, 2–2, 7. Sulamith, obwohl sie sich der Liebe Salomos unwert erkennt, sie, die um ihrer Untreue willen durch die Brüder gestraft, noch die