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eine Zeit, wo das Hohelied auch in Israel als „weltlich“ angesehen und bezweifelt wurde, ob es in den Kanon gehöre, „bis die Männer der großen Synagoge (s. o.) kamen und sie deuteten“, d. h. den Sinn für nicht profan, sondern für geheimnisvoll erklärten. Bei dieser Auffassung blieb man in der Synagoge stehen. Auch die Kirche sah seit Origenes im Hohenliede den Liebesverkehr Christi und seiner Gemeinde mystisch-allegorisch dargestellt und es wurde das Hohelied eine Fundgrube heiliger Mystik, aus der bis heute geschöpft wird. Erst der Rationalismus des vorigen Jahrhunderts hat das Hohelied buchstäblich und also rein sinnlich gedeutet. Neuere Ausleger haben diese Deutung angenommen, aber in der Ehe Salomos und Sulamiths einen Typus der Vereinigung Christi und seiner Gemeinde erkannt (Eph. 5, 32).

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 Ohne Zweifel hat jede der genannten Auslegungsweisen ihre Schwierigkeiten, a) Der sinnlich-buchstäblichen ist es, ohne dem Buche Gewalt anzuthun, noch nicht gelungen, ihm Plan und Einheit abzugewinnen [Verführungsgeschichte (Jakobi 1771), Sammlung von Liebesliedern (Herder 1773)]. – b) Die typische Auslegung nach Eph. 5, 32, welche in Sulamith die Tochter Pharaos oder besser ein Landmädchen erkennt, das durch Schönheit und edeln Sinn, durch ihre reine Hingabe, kindliche Einfalt, freie Demut, sittige Zucht, naive Klugheit den König Salomo fesselt, so daß ihm in diesem idealen Verhältnis das Wesen der von Gott gestifteten Ehe aufgeht, wodurch es von selbst zum Typus des künftigen Liebesbundes zwischen Christus und der Gemeinde wird, diese Auffassung sieht sich gestört, wenn nicht durch Schilderungen dieses Mädchens, wie sie sich 3, 6–11; 4, 4. 8; 6, 4 ff., finden, so doch durch den das ganze Hohelied durchziehenden Wechsel zwischen Suchen und Finden, ja zwischen Treue und Untreue seitens der Braut und Gemahlin, während doch mit der künftigen Hochzeit des Lammes und seiner Braut ein trübungs- und wechselloses Verhältnis der Liebe und Gegenliebe anhebt. – c) Gerade dieses Moment, welches dem Ganzen so wesentlich ist, daß es in beiden Hauptteilen wiederkehrt, weist auf ein der diesseitigen Geschichte angehörendes Verhältnis hin. Das Einfachere bleibt also immer die allegorische Deutung des Hohenliedes von dem Verhältnis zwischen Jehova und Israel. Indes ist