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und der Kanon der Hauptsache nach abgeschlossen war, und wurde überhaupt der bereits vorhandenen Sammlung heiliger Schriften wohl nur deswegen angefügt, weil sie schriftliche Denkmale von Männern, wie Esra und Nehemia und Auszüge aus altehrwürdigen Büchern enthielt; aber immerhin zeigt die Stelle, die man ihr anwies, daß ihr Ursprung von der kanonischen Zeit im strengen Sinn des Wortes bereits ein Ziemliches abliegt.

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 Es entspricht der geschichtlichen Bedeutung, welche die jüdischen Exulanten in der Geschichte des Reiches Gottes gewannen, daß in der Chronika nur von Juda gehandelt wird, nicht vom Zehnstämmereich; das durch die Rückkehr aus Babel in gewisser Beziehung wiederhergestellte Volk Gottes hatte seine Ahnen lediglich auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte. Ihre Selbständigkeit hatten die Zurückgekehrten wesentlich als Religionsgemeinschaft; darum wird in der Chronika in den Vordergrund gestellt die religiöse Entwickelung der früheren Zeit, die in den Büchern Samuelis und der Könige zurücktritt; insofern ist die Chronik auch eine wertvolle Ergänzung der früheren Geschichtsbücher; erst aus der Vereinigung beider gewinnt man z. B. die volle Erkenntnis von der Persönlichkeit Davids, welcher als ein Mann erscheint wie Karl der Große, gleich bedeutend im Krieg und im Frieden, im Weltlichen wie im Geistlichen. Wertvoll ist auch der Hinweis auf die wiederholten und mit steigender Energie unternommenen Versuche Judas, aus dem Verfall sich zu erheben; dieselben waren nicht resultatlos; die nachexilische Gemeinde ist mit eine Frucht dieses Strebens. Ausführlich behandelt der Verfasser die gottesdienstlichen Einrichtungen: das Exil hatte ja den lebendigen Zusammenhang unterbrochen; mit Vorliebe verweilt er bei den religiösen Festen, sie waren Beweise religiöser Energie. Vorbildlich erscheint ihm die Zeit Davids und Salomos, und sie war es auch; ihren Glanz läßt er ungetrübt scheinen; er erwähnt nicht den Sündenfall Davids; derselbe hat ja auch den Charakter seiner Zeit nicht dauernd alteriert; er kennt ihn aber vgl. I 3, 5; auf Salomos Versündigung weist II 10, 15 und ausdrücklich Nehem. c. 13, 28. – Mit Unrecht erklärt man Chronika für eine priesterliche Tendenzschrift des späteren Judaismus; so sagt man z. B.: nach 2 Kge 11, 4 geschah die Einsetzung des Joas durch Jojada mit Hilfe der königlichen Leibwache. Dem späteren Judentum war die Einführung jener halb heidnischen Söldner in den Tempelvorhof ein Greuel; es macht daher in 2 Chr. 23 daraus Leviten. Allein in beiden Berichten ist nichts anderes gemeint als die Luk. 22, 47 und 52 (vgl. Apostelgesch. 4, 1) gemeinte Tempelwache; es werden ja auch in beiden Berichten den Leuten Waffen „gegeben“, was sich für die Leibwache nicht schickt; endlich führt die königliche Leibwache den Namen Crethi und Plethi vgl. 1 Kge 1, 38; die bei Einsetzung des Joas 2 Kge 11, 4 Mitwirkenden aber heißen Kari und Razim. – An dem Auftreten der Propheten in Chronika wird etwas Schablonenhaftes gefunden, je nach Gesetzeserfüllung oder Übertretung stellten sie Glück und Unglück in Aussicht. In Wahrheit sind die Anlässe des Auftretens von Propheten sehr mannigfaltig, vgl. z. B. 2 Chron. 20, 14 mit c. 28, 9 etc. und ebenso mannigfaltig