Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

denn sie hat der Forscher so oft zu entscheiden.

Wenn die Märchen auf mündlichem Weg vom Morgenland nach dem Abendland oder umgekehrt übergingen, konnten sie zwei Hauptwege einschlagen: den südlichen durch Südwestasien und die Balkan-Halbinsel oder den nördlichen, der das Morgenland und Russland entweder durch Sibirien oder Kaukasien verbindet. Im Süden konnte eine Verbindung auch zwischen Asien und Nordafrika und zwischen dem letztgenannten und Südeuropa entstehen.

Da die örtlich einander näherstehenden Varianten sich im allgemeinen mehr gleichen, ist das natürlichste Mittel beim Untersuchen der Wanderungswege des Märchens, die Beschaffenheit desselben in zwei einander am nächsten liegenden Ländern durchzumustern. Wenn das Märchen in aneinandergrenzenden Teilen Asiens und Europas bekannt ist und dazu auf beiden Seiten eine nähere Übereinstimmung bemerkbar ist, so ist es unzweifelhaft, dass es von der einen Seite nach der anderen gewandert ist. Wenn z. B. das morgenländische Zauberringmärchen sowohl in Südwestasien als auch auf der Balkan-Halbinsel bekannt ist und auf beiden Seiten solche besonderen Züge vorkommen wie das Siegel oder der Stein des Ringes als Zaubergegenstand, kann man sich nur vorstellen, dass das Märchen auf diesem Wege nach Europa gekommen ist. Die Übereinstimmungen in dem ebenso morgenländischen Zaubervogelmärchen zeigen, dass das Märchen von Südwestasien nach Nordafrika und dem Balkan übergegangen ist, und es wird sogar deutlich, dass es vom Balkan und Österreich-Ungarn nach Russland gewandert ist. Das Zaubervogelmärchen ist einmal auch bei den sibirischen Tartaren aufgezeichnet worden, aber diese Variante bezeugt nicht, dass sich das Märchen auch auf dem nördlicheren Weg nach Europa bewegt hätte, nämlich direkt nach Russland, denn da kommt die europäische Zauberschrift vor und ist der Vogel seiner Art

Empfohlene Zitierweise:
Antti Aarne: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. Suomalaisen Tiedeakatemian Kustantama, Hamina 1913, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FFC13.djvu/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)