ist es uns möglich in das bunte innere Leben des Märchens einzudringen.
Bei der Feststellung der Urform der Züge werden folgende Umstände in Betracht gezogen.
Die allgemeiner vorkommende Form ist häufiger ursprünglich als die seltener vorkommende. Die einzelnen oder sehr seltenen Fälle sind gewöhnlich zufällige Erscheinungen. Die Mehrzahl der Varianten kann jedoch nicht allein die Frage entscheiden, sie kann auch trügen. Die Anzahl der Varianten beruht z. B. auf der Intensität der Sammelarbeit in verschiedenen Gegenden. Eine in genauer abgesuchten Gegenden vorkommende spätere Form kann auf diese Weise durch eine grössere Anzahl Varianten vertreten sein als die ursprüngliche Form, die meistens den weniger durchsuchten Lokalitäten angehört. Hie und da ist eine spätere Bildung durch Vermittlung der Literatur sehr allgemein geworden. Im Märchen von den Tieren im Nachtquartier z. B. hat die grimmsche Variante verursacht, dass die Räuberform heutzutage im Volksmunde viel allgemeiner ist als die ursprüngliche Wolfform.
Neben der Anzahl der Varianten muss man daher beim Aufsuchen der Urform sein Augenmerk noch auf andere Umstände richten.
Ein solcher Umstand ist der Umfang der Verbreitungsgebiete der verschiedenen Formen des Zuges. Die in einem weiteren Gebiete vorkommende Form hat im allgemeinen den Vorzug vor einer in engerem Gebiete angetroffenen Form. Wenn die ursprüngliche Form aus irgendeinem Grund selten geworden ist, während die späteren Bildungen an Raum gewonnen haben, zeigt das grössere Verbreitungsgebiet der ersteren gewöhnlich ihr höheres Alter an. Es gibt sogar Fälle, wo die späteren Bildungen in einem beschränkten Gebiete die ursprüngliche Form spurlos verschwinden
Antti Aarne: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. Suomalaisen Tiedeakatemian Kustantama, Hamina 1913, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FFC13.djvu/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)