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Er hatte sich an der Thür flüchtig umgesehen und flüchtig hatte ihr Anblick ihn gerührt … fast wäre er umgekehrt, hätte ihr einen Abschiedskuß gegönnt, fast wäre er schwach geworden. Aber er unterdrückte die unmännliche Regung, er blieb stark, er ging – der Unglückselige! …

Er las weiter.

„Eine große Ruhe ist über mich gekommen, eine göttliche Zuversicht. O wüßtest Du, wie gut ich weiß: Du wirst mich lieben! Um des Kindes willen, mein Paul, das ich Dir bei Deiner Rückkehr in die Arme legen werde. Dieser seligmachende Glaube hilft mir über die Trennung hinweg, erfüllt mich mit freudiger Stärke. Du mein Alles, mein Herr, mein Freund, ich erlebe die Stunde, in welcher Dein erwachtes Herz mir entgegenschlägt, Deine ganze Seele mir zuruft: Komm!“

„So komme denn!“ rief Paul mit einem wilden Schrei. Er sprang auf, er streckte in wahnsinniger Sehnsucht die Arme aus. Beschwörend, Unmögliches erflehend, erhob er sie zum Himmel und ließ sie dann plötzlich sinken mit einer Gebärde der Verzweiflung. Da ergriff es ihn, schrecklich, hoffnungslos – eine Erkenntniß, nie wieder auszurotten, eine Reue, nie zu stillen, ein unentrinnbarer Schmerz: Du hast Unschätzbares besessen[1] und nicht zu würdigen gewußt. Er erbebte am ganzen Leibe, er preßte die Hände an seine schwerathmende Brust …


  1. Vorlage: beessen
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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/411&oldid=- (Version vom 31.7.2018)