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seinen Grimm. „Fürchte Dich nicht!“ rief er in thörichtem Zorne: „Fürchte Dich nicht!“ während er sie tödtlich erschreckte. Alle Glieder des zarten Körperchens begannen zu zittern, die Augen wurden starr, und in großer Bestürzung setzte Paul das Kind auf den Boden hin. Da blieb es still, mit herabhängenden Armen, das Köpfchen tief gebeugt – auf das Allerschlimmste gefaßt, recht wie ein junges Vöglein im verlassenen Neste, über dem ein Gewitter schwebt … Schon hat der Blitz gezuckt – wann trifft sein Strahl?

O du allmächtige Hülflosigkeit! du wehrlose, vor der alle Kraft des Starken sich auflöst in einen Strom des Erbarmens!

„Sprich,“ flüsterte Paul, „sprich nur ein Wort – oder weine Kindchen! weine – ich bitte Dich …“

Sie bleibt still, stumm, leblos … Athmet sie denn? In namenloser Spannung hält er seinen Athem an, um dem ihren besser zu lauschen – – da läßt sich im Nebenzimmer das Trippeln kleiner emsiger Schritte vernehmen, das Gebimmel einer winzigen Schelle … Mariechen horcht plötzlich auf, an der Thür wird ein Kratzen laut, gebieterisch Einlaß heischend – und das Kind erhebt den Kopf, ein schwaches Roth tritt auf seine Wangen, es schlägt freudig die Händchen zusammen und – „Kitty!“ ruft es aufjauchzend.

Paul öffnete die Thür, und an ihm vorbei schoß ein zottiges Hündchen und sprang mit lautem Gebelle auf das kleine Mädchen zu. Es umhüpfte sie, leckte ihr die Hände

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/399&oldid=- (Version vom 31.7.2018)