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seine Aufmerksamkeit auf zwei Goldamseln zu lenken, die im Grün der Linde vor seinen Fenstern wie Lichtstrahlen von Ast zu Ast huschten, bemeisterte sich lange, zuletzt aber wandte er sich doch um, sprang auf und herrschte dem Kinde zu: „Schweige!“

Es gehorchte augenblicklich; hielt inne mitten im Schluchzen und sah aus großen, in Thränen schwimmenden Augen erschrocken und flehend zu seinem Vater empor. Und dieser Blick traf ihn wie ein Stoß in das Herz. So hatte die Mutter des Kindes ihn angesehen, damals, als sie zum ersten und letzten Male Nein zu ihm gesagt, an jenem Tage, der unwiderruflich über ihr Leben entschied … Da war die Erinnerung wieder, deren er sich mit dem Aufgebote seiner ganzen Willenskraft nicht zu erwehren vermochte, die ihn wie mit einem Zauberbanne umwob, seitdem er den heimischen Boden betreten hatte.

Kann das Weib, das im Leben hülflos zu seinen Füßen lag, ihn nach dem Tode besiegen? Fleht sie aus dem Jenseits zu ihm? sieht ihn mit unvergeßlichem Blicke aus dem Auge ihres Kindes an – ihres kleinen Abbildes … nein, kein Abbild – sie selbst, in jedem Zuge des Gesichtes – in jeder Bewegung sie, so ganz und gar sie selbst, als gäbe es eine rückwärts schreitende Zeit, ein umgekehrtes Leben, das wieder zur Kindheit führt …

Im Innersten erschüttert hob Paul das Kind in seinen Armen empor und drückte es an sich. Allein der Ausbruch seiner Zärtlichkeit erweckte Entsetzen, und dieses

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/398&oldid=- (Version vom 31.7.2018)