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Unwillig wiederholte Paul seinen Befehl, die Frau erlaubte sich keine Einwendung mehr, sie ging bestürzt von dannen, und ihr Zögling, noch viel erschrockener als sie, hatte nicht einmal den Muth, sich nach ihr umzuwenden.

Wie eine kleine Bildsäule blieb Mariechen regungslos an ihrem Platze und senkte das traurige Gesicht tief auf ihre Brust.

„Arme, verkümmerte Pflanze!“ dachte Paul. „Wachsest auf zwischen einem geschlossenen und einem schon geöffneten Grabe … Du brauchtest frischere Lebensluft!“

Eine Regung mitleidiger Liebe schlich sich in seine Seele; er sah die Furcht, mit der sie unter den gesenkten Lidern hervor jede seiner Bewegungen beobachtete, und wagte nicht sich ihr zu nähern. Sie voll Angst vor ihm, er voll Bangen vor ihrer Angst – so standen Vater und Tochter einander gegenüber.

Endlich kniete er nieder und sprach mit gedämpfter Stimme: „Mariechen, komm zu mir!“

Das Kind rührte sich nicht, aber die Nerven um seinen Mund begannen zu zittern, ein schwerer Seufzer hob seine Brust, und es brach in unaufhaltsames Weinen aus. Paul ging an seinen Schreibtisch zurück. „Sie mag sich ausweinen! hat ohne Ursache angefangen, wird ohne Ursache aufhören!“

Aber die Ausdauer eines schluchzenden Kindes ist ein länger Ding als eines Mannes Geduld. Er wollte die seine nicht verlieren, er hielt sich die Ohren zu, versuchte

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/397&oldid=- (Version vom 31.7.2018)