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Wir heirathen uns,“ sagte Paul. Die Gasflamme, an der sie vorüberkamen, beleuchtete sein Gesicht, das dem Fürsten ungewöhnlich bleich und von einem wilden Ausdruck beseelt erschien. „Wir heirathen uns,“ wiederholte er, „weil sie Gräfin Sonnberg werden will, und weil ich verliebt in sie bin … ja verliebt. – Obwohl sie eine Statue ist, diese schöne Thekla.“

Er hörte nicht einmal die Einwendungen, die Klemens machte, und begann plötzlich mitten in dessen Rede: „Die Thorheit hat einmal behauptet, daß Liebe blind sei, und die Gedankenlosigkeit hat es nachgeplappert. Es ist nicht wahr. Liebe hat ein scharfes Auge für den kleinsten Fehler des Geliebten, aber auch das größte Verbrechen würde sie nicht beirren. Sie nimmt es auf mit jedem Feinde, ja es lockt sie, sich zu bewähren, der Hölle zum Trotz! ‚Ich sehe dich, wie du bist‘, spricht sie zu ihrem Gegenstande. ,Ich weiß, ich habe zu bestehen keinen Grund, kein Recht; es ist eine Tollheit, daß ich bestehe – aber ich bestehe doch! Ich leide, ich blute, ich verzweifle, aber ich bestehe doch’!“

„Nun, nun,“ sagte Klemens, „es wird so arg nicht sein … was Statue! – die Mutter ist auch ein wenig Statue, nicht so sehr allerdings, aber ein bischen doch auch. Mein lieber Sohn, das sind die besten Weiber! Und dann: die Ehe ist für den Mann das Grab, für die Frau die Wiege der Leidenschaft. Uebers Jahr vielleicht klagen unsere Frauen über unsere Kälte, oder es hat sich bis dahin das schönste Gleichgewicht hergestellt.“

Empfohlene Zitierweise:
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/371&oldid=- (Version vom 31.7.2018)