plötzlich: „Was ist’s mit den Gedichten, die ich Ihnen neulich brachte? Haben Sie darin gelesen?“
„Ja,“ antwortete sie zögernd.
„Und was sagen Sie dazu? Ich habe das Buch jahrelang besessen und es nicht zu würdigen verstanden. Vor wenig Tagen kam es mir zufällig in die Hand, und mir war, als hätte ich einen Schatz entdeckt. Es ist herrlich … finden Sie nicht?“
„Herrlich – ja, zu herrlich für mich.“
„Was heißt das?“
„Es heißt …“
„Nun? vollenden Sie doch!“
Thekla warf den Kopf zurück: „Ich bin überhaupt keine Freundin von Gedichten,“ sagte sie.
Er zuckte die Achseln. „Sache des Geschmacks!“
„Ja wohl!“
„Und es giebt guten und schlechten.“ Paul war wieder in den herben Ton verfallen, den er ihr gegenüber nie mehr anschlagen wollte.
Dieser kleine Wortwechsel berührte den Fürsten Klemens sehr unangenehm. Er rückte auf seinem Stuhle hin und her, räusperte sich mißbilligend und warf der Gräfin einen bedauernden Blick nach dem andern zu. Plötzlich rief er aus, in der Weise eines nachsichtigen Vaters, der streitende Kinder zu beschwichtigen sucht: „Jedes von Euch hat Recht – gewissermaßen Jedes!“
„O,“ wandte er sich ernsthaft zu Marianne, „das kann leicht sein; es trifft sich wohl – – ja, wenn man
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/360&oldid=- (Version vom 31.7.2018)