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„Doch!“ entgegnete die Gräfin, „wenn auch sehr unwillkürlich. Er besteht nämlich darauf, mir das alles vorzulesen; und ich, sehen Sie, ich kann nicht zuhören, wenn mir Jemand vorliest, ich kann nicht. Meine Gedanken fliegen davon, sobald die Lectüre beginnt und stellen sich um keinen Preis wieder ein, bevor sie beendet ist. Dann natürlich sage ich auf gut Glück: „Charmant, charmant, sehr schön geschrieben – besonders das Letzte!“

Man lachte, auch Paul nahm Theil an der allgemeinen Heiterkeit, etwas gezwungen allerdings; und er wandte sich plötzlich mit den Worten an Gräfin Erlach: „Eigentlich muß ich Ihnen aber sagen, daß die schriftstellerischen Versuche Ihres Mannes aller Aufmerksamkeit werth sind und die Ihre erwecken sollten.“

Die Gräfin sah ihn an mit jenem unbeschreiblichen Erstaunen, das Leute ergreift, die ihr ganzes Leben hindurch nur gespielt haben und entschlossen sind, bis an ihr Ende weiter zu spielen, wenn ihnen plötzlich zugemuthet wird, irgend einer ernsthaften Sache Interesse zu schenken. Jetzt lächelte nicht mehr ihr Mund allein, ihr ganzes nicht regelmäßig schönes, aber äußerst anziehendes Gesicht und ihre großen schalkhaften Augen lächelten mitleidig, spöttisch, übermüthig, lächelten auf jede Art. Sie warf den Rest ihrer Cigarette in den Kamin, begann sorgfältig und mit Bedacht ihre Handschuhe anzuziehen und sprach in ihrer langsamen und nachlässigen Weise: „Fremde haben leicht reden.“ Sie glättete die Falten ihrer Handschuhe

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/357&oldid=- (Version vom 31.7.2018)