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Streich empfing, den das Schicksal führte, weiß man nicht, wie tief er getroffen, wie viele Lebenswurzeln er uns durchschnitten hat … das zeigt sich erst später.“

„Du meinst,“ entgegnete Paul, „daß der Schmerz um einen erlittenen Verlust zunimmt, je mehr Zeit darüber hingeflossen ist? Ich, lieber Alter, halte dafür, daß die Zeit alle Wunden heilt.“

„Im Allgemeinen – könntest Du wenigstens hinzusetzen,“ fiel ihm Kamnitzky ein. „Für einen Mann wie Du, giebt es freilich nur das Allgemeine … Ein Mann wie Du kümmert sich nicht um das einzelne Wesen, den besonderen Fall. Wenn man der Menschheit angehört, dem Universum …“ Er klimperte hastig mit einem Schlüsselbunde in seiner Tasche, seine Stimme, die sich während der letzten Sätze gesenkt hatte, erhob sich wieder: „Wann ist es kälter, he? eine Stunde oder mehrere Stunden nach Sonnenuntergang? … Nun, Lieber, für Deine alten Leute ist die Sonne untergegangen hinter dem Hügel in der Friedhofecke, wo die Zitterpappeln … Ja so – Du weißt nicht – warst nicht einmal dort … Nicht einmal dort!“ Er richtete sich kerzengerade auf, warf die Schultern zurück, wie ein Soldat in strammer Haltung und fuhr fort, mit affektirter Nachlässigkeit, den Blick über Pauls Kopf hinweg, nach dem Fenster gerichtet: „Und es ist doch freundlich dort, durchaus freundlich: Ein Gitter umschließt die Stelle; an den zierlichen Stäben ranken sich Zwergrosen empor, ein Band aus Epheu bildet, flach und breit, einen – weißt Du,

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/350&oldid=- (Version vom 31.7.2018)