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daß er einst ein Herz neben sich darben ließ … Dieses Mal ist er der dürstende und verlangende! Thekla liebt ihn nicht wie er sie liebt, wenn auch so sehr als sie zu lieben fähig ist. Hatte sie ihn nicht gewählt aus freiem Entschlusse? Hatte nicht ihr erster Blick ihm gesagt: Du bist’s – ihr Jawort es nicht bestätigt? Was wollte er mehr als den Besitz ihres ganzen schönen Selbst? Sie leidenschaftlicher wünschen, hieße sie anders wünschen und so, ganz so wie sie war, bezauberte und entzückte sie ihn.

„Bleib wie du bist!“ rief er laut mit überwallender Empfindung … „Zärtlichkeit und Schwärmerei von Dir verlangen, hieße Duft und Blüthe des Rosenstrauches von der hochragenden Palme fordern und wärmendes Licht von den leuchtenden Sternen …“




Das Geräusch der sich öffnenden Thür weckte ihn aus seinen Träumereien. Ein Diener meldete: „Herr Baron Kamnitzky“, und schnaubend vor Ungeduld trat ein kleines, schwächlich gebautes Männchen in das Zimmer und sprach: „Lauter neue Gesichter, lauter Leute, die mich nicht kennen … daß sie nicht nach meinem Passe fragen, das ist Alles. Ein nächstes Mal will ich mich damit versehen. Hätte nicht geglaubt, daß es so schwer sei vorzukommen bei einem liberalen Abgeordneten …“ Das Wort „liberal“ betonte er ausnehmend giftig und wegwerfend.

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/344&oldid=- (Version vom 31.7.2018)