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– Das ist das Glück! das ist die Liebe! jauchzte es in seiner Brust. Was hatte er bisher für den Inhalt des Lebens gehalten? Einen Ehrgeiz, den Tausende besaßen, das Jagen nach Zielen, die andere so gut wie er erreichen konnten. Von dem alles verklärenden Licht, von der Krone des männlichen Daseins, von der Liebe zu einem Weibe, davon hatte er nichts gewußt. Wohl war er angebetet worden von Kindheit an, hatte schwärmerische Neigungen eingeflößt, erwidert aber hatte er noch keine der liebevollen Empfindungen, die ihm entgegen getragen wurden. Und jetzt – wie aus dürrem Waldesboden die Lohe bricht, wie Feuerfluthen emporsteigen aus dem felsenstarrenden Berge, so flammte jetzt in seiner Seele die Leidenschaft plötzlich auf. Sie war erwacht, ein göttliches Wunder; das schöne Geschöpf, das er eben in seinen Armen gehalten, hatte sie geweckt, zu niemals geahnter Wonne …

Eine Regung von Mitleid erwachte in ihm – wie ein Schatten zog die Erinnerung an seine verstorbene Frau durch sein Gemüth. Aber selbst dieser leichte Schatten, den eine trübe Vergangenheit über die leichtströmende Gegenwart gleiten ließ, verflog. Was ist eine wehmüthige Erinnerung im Augenblick der seligsten Erfüllung? … Vorbei! vorbei! Friede mit den Todten, und Glück und Macht mit den Lebendigen!




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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/328&oldid=- (Version vom 31.7.2018)