wurdest Du, das ist’s! Zuerst durch das Glück, das Dich mit Talent reich ausgestattet hat und mit Mitteln, es geltend zu machen, dann durch übergroße Liebe. Als eine Last empfindest Du sie und meinst genug zu thun, wenn Du sie nur duldest, nur erträgst.
Wieder betrachtete sie ihn, forschend, aufmerksam. Sein Gesicht drückte die höchste, erwartungsvollste Spannung aus. „Wahltour!“ hatte der Vortänzer gerufen – Thekla, eben erst an ihren Platz zurückgeführt, erhob sich. Mehrere junge Leute eilten herbei, umringten sie, und jeder flehte: „Wählen Sie mich! – mich!“ Sie schüttelte verneinend den Kopf; der Kreis, der um sie geschlossen worden war, theilte sich, und sie ging, an all’ den Enttäuschten vorbei, langsam, in gleichmäßigen Schritten die Breite des Saales durchschreitend, auf Sonnberg zu. Und nun, anmuthig und stolz in ihrem duftigen Gewande, die Wangen rosig angehaucht, die herabhängenden Hände leicht in einander gelegt, stand sie vor ihm und grüßte ihn mit einem kaum merkbaren Neigen des Hauptes. Er sprang auf – aus seinem Antlitz war alle Farbe gewichen – er zitterte, ja, er zitterte! wie nach Athem ringend hob sich seine Brust … Im nächsten Augenblicke jedoch hatte er sich gefaßt, umschlang die reizende Gestalt, und sie flogen im raschen Takte der Musik dahin, von allen, die sich in dem leuchtenden Saale lebensdurstig und lebensfreudig im Tanze bewegten, das schönste Paar.
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/321&oldid=- (Version vom 31.7.2018)