Nach einigen Bemerkungen über die heutige Vorstellung, sprach die Gräfin in gleichgültigem Tone: „Unter anderem: der Zeichenlehrer hat abgedankt. Er gedenkt nicht länger seine Zeit mit unserer Thekla zu verlieren … Er meint, Du hättest kein Talent, armes Kind.“
Theklas Augen sprühten helle Zornesfunken, die Röthe des Unwillens flammte auf ihren Wangen; ihre zuckenden Lippen öffneten sich wie zu rascher Antwort, aber – sie schwieg. Sie warf den Kopf mit einer stolzen Bewegung in den Nacken und – schwieg.
Nach einer kleinen Weile war Marianne mit ihrer Coiffüre zu Stande gekommen, setzte sich an den Tisch und ließ sich mit Madame Dumesnil in eine lebhafte Erörterung der neuen Kleidermoden ein, an welcher Thekla nicht theilnahm.
Das junge Mädchen befand sich zwei Tage lang in empörter Stimmung, dann verfiel sie in Melancholie, die nach abermals zwei Tagen einer unbestimmten Empfindung Platz machte, halb Groll, halb Reue, ganz und gar: Unbehagen. Noch waren nicht vier Wochen ins Land gegangen seit Herrn Krämers improvisirter Liebeswerbung, als die kleine Gräfin sich ihres so rasch ertheilten Jawortes nur noch mit Entsetzen erinnerte, und ein halbes Jahr hindurch konnte sie von ihrem, oder von einem Zeichenlehrer überhaupt nicht sprechen hören, ohne vor Scham an Selbstmord zu denken.
Einen tiefen, ja, wie Madame Dumesnil meinte,
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/313&oldid=- (Version vom 31.7.2018)