die ihm mit dem corpus delicti in der Hand entgegen trat, ward ihm recht übel zu Muthe.
„Herr Krämer,“ begann Marianne mit gepreßter Stimme – „es ist unwürdig von Ihnen …“ Ihre hohe Erregung hinderte sie fortzufahren, und der burschikose junge Mann und die ruhige, weltgewandte Frau standen einander fassungslos gegenüber.
Er war’s, der seine Geistesgegenwart zuerst wieder gewann.
„Frau Gräfin,“ sagte er, auf das Blatt deutend, daß sie früher vor ihm empor gehalten und das jetzt in ihrer herabgesunkenen Rechten zitterte. – „Nehmen Sie’s nicht übel, Frau Gräfin. Das Comtesserl ist immer so schön roth worden, wenn ich gekommen bin, und so hab’ ich mir halt einen Spaß gemacht. Einen schlechten Gedanken hab’ ich dabei nicht gehabt. Nehmen Sie mir’s nicht übel,“ wiederholte er treuherzig.
Marianne sah ihn an, und zum ersten Male fiel es ihr auf, daß Herr Krämer ein hübscher Mensch war, mit gewinnenden Augen und mit offenem Gesichte. Das ihre verfinsterte sich immer mehr, und nach einer neuen peinlichen Pause sprach sie: „Meine Tochter nimmt von heute an keinen Unterricht im Malen mehr …“
Er fiel ihr rasch ins Wort. „Das ist gescheit! denn wissen Sie, Frau Gräfin, Talent hat sie gar kein’s. Es ist schad’ um die Zeit. Ich hätt’ Ihnen das eigentlich schon lang’ sagen sollen, aber ich hab’ mir halt gedacht, bei Ihres Gleichen kommt es ja nicht darauf an.“
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/311&oldid=- (Version vom 31.7.2018)