Wolfgang (wie oben): Aber der Nazarener nicht den Pilatus! Sieh’, das ist der große Unterschied. Wem die Sonne aufgegangen ist, der fühlt’s wohl an der Glut in seinem Herzen: das ist das Göttlich-Wunderbare in unserm Dasein! Wir sind irrende Menschen. Schön. Wissen wir. Aber doch sind wir dazu da, daß einer dem andern den Weg weise.
Scharff: Den Weg weisen! Glaubt doch nicht, daß euch das jemals einer dankt. Das Herdenvieh trottet seine gewohnten Wege!
Wolfgang: Hahahaha! Da wären wir also glücklich wieder bei deiner anfänglichen Behauptung! Das Carousselfahren ist nun einmal dein Sport. (mit scherzender Ironie:) Ein geeigneter Moment, um zu deiner vollen Befriedigung abzuschließen; meine Stunde ruft. Du wolltest meine Bibliothek benutzen; bitte, bediene dich; du weißt ja alles zu finden.
Scharff: Danke; aber willst du nicht deiner Frau bescheid sagen, daß Einquartierung da ist?
Wolfgang: Ich werd’s ihr sagen. (Geht an die hintere Thür links, öffnet sie und ruft:) Magda!
Magdalene (von drinnen): Ja?
Wolfgang: Der Herr Doktor ist hier; er wird ein bißchen in meinem Zimmer arbeiten, während ich weg bin.
Magdalene (wie oben): Ja bitte – (erscheint in der Thür.) Guten Morgen, Herr Doktor!
Scharff: Guten Morgen, gnädigste – schönste Frau; Sie gestatten doch –
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)