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Wöhlers: Ich bitte sehr – nennen Sie mich nicht mehr „Du“, mein Herr! Ihr „Du“ war mir von jeher verhaßt! Ich danke für jede familiäre Beziehung zu Ihnen. Mit unserer Einwilligung heiraten Sie meine Tochter nie! Ich hab’s Ihnen schon einmal gesagt: ich brauche keinen Schulmeister – und am allerwenigsten brauche ich ihn zum Schwiegersohn!

Wolfgang: Hahahahaha! Halten Sie’s fest, Herr Wöhlers, halten Sie’s fest; da ist Ihnen ein Stück von Ihrem wahren Christentum entschlüpft! Herrlich, herrlich, das ist der Adel dieser leicht verletzten Seelen! Gewiß konnten Sie für Ihre Tochter keinen armen Teufel brauchen, der sich durch Stundengeben ernährt; Sie wollten sie ja verschachern an den borniertesten Geldprotzen dieser Stadt! O, ich wußt es seit langem. (Mit Beziehung.) Ein Pastor, der das mit sehenden Augen gebilligt hätte, war ja unschwer zu finden. Aber fromme, ehrbare Leute sind wir doch; das muß uns der Klatsch lassen! Wir beten nicht, wir betreten die Kirche nicht – es geschehe denn zur Parade – wir verhandeln unsere Söhne und Töchter, wir versumpfen überhaupt im gemeinsten Materialismus des Geschäfts und des Vergnügens und in unserm Innern ist längst jede Spur des Göttlichen erloschen – aber eines thun wir doch: wir schneiden eine andächtige Fratze, wenn wir das Abendmahl empfangen; eines wissen wir doch: daß wir Christen sind – hahahaha – natürlich: das „muß man ja wissen“!

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Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)