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II. Rolf. 83


Wahrlich! ein grösserer Held, als jener, ist nie mir erschienen:

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Halbtot hielt er sich hoch, und gestützt auf die Beuge des Armes

Lacht’ er entgegen dem Tode, verhöhnte mit stätem Gelächter
Todes Geschick und betrat mit Freud’ die Elysischen Fluren.
Gross war die Tugend des Manns, der mit fröhlichem Lachen verdeckte
Nahenden Todes Geschick, der da bittere Schmerzen des Leibes,

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Bittere Schmerzen der Seele bezwang mit dem heiteren Antlitz.

Jetzt auch hab ich mit selbigem Schwert eines edelen Stammes
Sohne[1] durchschnitten die Fasern des Innern, die Träger des Lebens,
Habe das Eisen, das kalte, ihm tief in das Herze gebohret.
Er war Königes Sohn, war Kind hellstrahlender Ahnen,
Gaben verlieh ihm Natur, er strahlte in Frische der Jugend.
Nichts doch konnte ihm nützen der Panzer mit schuppigen Ringen,
Nichts auch das Schwert, noch der rundliche Schild: so lebte in Snyrtir [65] 65
Feurige Kraft; was immer es traf, nichts hemmte die Bahn ihm.
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Also, wo sind nun die Führer der Goten, wo ist des Hiarthwar

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Trefflich Gefolge? Sie kommen und wägen die Kräfte mit Blute!

Wer doch schleudert Geschosse, wer schwingt sie? nur Kinder von Fürsten;
Edelgeborne erheben den Streit, nur erlauchte Geschlechter
Treten zum Kampf; nichts gilt des gemeinen Haufens Bestreben,
Wo mit dem Leben allein die Entscheidung erringen die Fürsten.

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Strahlende Fürsten, sie sinken zum Tod; sieh’, Rolwo erlauchter!

Schon sind dahin deine Grossen, es enden die frommen Geschlechter;
Nicht ruhmloses Gevölk ohne Namen, nicht niedrige Seelen
Rafft heut Pluto dahin, nein! Mächtige ruft er zum Tode,
Füllet den Phlegethon an mit dem Glanze erlauchter Gestalten.

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Nimmer noch hab’ ich gesehn einen Kampf, wo bereiter gezahlet

Schlag ward mit Schlag, wo schneller der Hieb nachfolgte dem Hiebe.
Schlage ich einen, erhalte ich drei; so gelten die Goten
Wunde mit Wunde, so zahlt freigebig die Rechte der Feinde,
Stärker im Kampfe, mit Wucher zurück den erlittenen Schaden.

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Viele doch sandt’ ich allein in den Tod, dass gleich einem Hügel

Aus den verstümmelten Gliedern ein ragender Damm mir hervorwuchs,
Dass die gesammelten Leichen das Bild eines Berges mir boten.
Aber, was schaffet mir der, der jüngst mir befahl zu erscheinen,

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Preisend mit eigenem Lobe sich selbst und die anderen schmähend

Mit hochmütigem Wort und bitterem Tadel, als ob er
In seinem einzigen Leib Kraft von zwölf Männern vereinte?


  1. Der ungenannte ist (wenigstens bei Saxo) nicht Hiarthwar.
Empfohlene Zitierweise:
Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_093.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)