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„Erlaube, Bruder, das geht doch noch übers Bohnenlied, und Du bist nicht ganz zurechnungsfähig oder die Geschichte hat sonst noch einen geheimen Haken. Das Mädchen ist reich, verdammt hübsch und sicher gebildet. Du hast sie lieb und sie Dich, d. h. sie hat nichts dagegen gehabt, daß Du auf einer Kahnpartie bei Mondschein — schauderhaft romantisch! — zufällig ihre Hand fandest und sie zehn Minuten lang krampfhaft festhieltest. Was willst Du denn eigentlich noch?“

Der lange Alfred erwiderte nichts und that seufzend einen langen Zug aus seinem Glase.

Der Eifer des Dicken amüsierte Wolfgang, aber er sagte ernst: „Hier läßt sich weder raten noch zureden. Unser platonischer Don Juan scheint von Haus aus jedenfalls ganz erklecklichen Vorrat an Gefühl in seinen zahllosen Liebschaften, Liebschäftchen und Liebeleien so vollständig zersplittert zu haben, daß der ihm gebliebene Rest für eine wirkliche Liebe, geschweige denn für eine Leidenschaft, nicht mehr ausreichen will. Das wäre übrigens wohl eine nicht ganz unverdiente Strafe.“

Der also Verurteilte verteidigte sich nur lau: „Gott weiß, was es ist — aber ich fürchte, ich finde überhaupt nie eine harmonisch mit der meinen zusammenklingende Natur.“

„Erlaube, Bruder, Du bist ein so schauderhafter Kerl, daß ich die, die harmonisch mit Dir zusammenklänge, ganz gewiß nicht heiraten würde, woran ich übrigens gar nicht denke.“

„Lieber Hammer, ich konstatiere, daß mein teurer Bruder bereits bei Invektiven anlangt, und da ist es immer am geratensten, das Gespräch zu wechseln.“

„Nichts leichter als das. Wenn Sie für die nächste Zeit auf die Rolle des liebenden Bräutigams verzichten, so sehe ich nicht ein, warum Sie mir nicht kämpfen helfen könnten. Es handelt sich darum, die Batterien der Naturwissenschaft gegen die Zwingburg der Bibelgläubigkeit aufzufahren, und Sie könnten mein Oberkanonier werden, das heißt, ab und zu im Bildungsverein einen Vortrag halten, was für Sie doch ein Leichtes ist.“

Und Wolfgang erzählte seinen Zusammenstoß mit dem Rektor und hatte die Genugthuung, daß der Umworbene sich keinen Augenblick besann, sondern eifrig und freudig zusagte und sofort eine ganze Reihe verschiedener Vorträge in Vorschlag brachte.

„Das Härteste für Sie wird sein, daß sie pünktlich sein müssen. Und Sie, Rosenräuber? Wie wäre es mit einem Vortrag zur Naturgeschichte des Hummers und der Auster oder zu einer Streife in die geheimnisvolle Welt der Pilze, natürlich nur der eßbaren? Von den hier vorkommenden will ich Ihnen gern Exemplare zur Verfügung stellen, als Grundlage für den Anschauungsunterricht.“

„Aus Ihrer Frage sehe ich schon, daß Sie nicht ernstlich auf mich zählen. Erstens bin ich zu bequem, dann sitze ich lieber in Ihrem Garten und endlich glaube ich, daß die Arbeiter schon viel zu gelehrt sind und schon viel zu viel wissen. Wenn das so fortgeht, bringt man

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_98.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)