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Inzwischen hatte sein „Bruder“ das Briefchen entdeckt, das noch auf dem grüngestrichenen Tisch lag, und es hastig ergreifend und von allen Seiten betrachtend, sagte er, mehr erstaunt als ironisch:

„Was muß ich sehen, lieber Hammer? Ich habe Sie immer für einen Ausbund von Offenheit gehalten und Ihnen vertrauensvoll alle meine kleinen Sünden gebeichtet, und jetzt stellt sich, wie es scheint, heraus, daß sie ein hinterlistiger Duckmäuser sind! Zarte Korrespondenzen — kann man gratulieren?“

„So leicht würde ich es Ihnen doch wohl nicht machen — so weit könnten Sie mich am Ende kennen. Sie irren übrigens sehr, denn der Brief, den Sie für ein Billet-doux halten, geht Sie beide viel mehr an, als mich, was ich Ihnen noch im Laufe des Abends zu beweisen gedenke. Machen Sie sich immerhin auf eine kleine Ueberraschung, auf ein fait accompli, gefaßt, daß Ihnen einigermaßen in die Bude schneien wird, wie wir in Sachsen sagen.“

„Das ist jedenfalls wieder einer von Ihren Scherzen, aber daß ich mich geirrt haben soll, thut mir aufrichtig leid. Ich würde mich kindisch freuen, wenn endlich einmal einer von uns den Anfang machte, und Sie haben entschieden die meiste Anlage dazu. Sie haben einen soliden Fonds und ich habe sie schon oft um denselben beneidet.“

„Nun werden Sie mir aber mysteriös. Nach allem, was Sie mir erzählt haben, erwarte ich jeden Tag die Anzeige von Ihrer Verlobung mit Ihrer Else Ellen, der kleinen zarten Engländerin in Breslau, und jetzt stellen Sie wieder alles in Frage.“

Der lange Alfred betrachtete mit einem fast melancholischen Ausdruck die Asche seiner Cigarre, und versuchte zu seufzen, indem er erwiderte:

„Ich bin entschieden eine problematische Natur und ich glaube jetzt steif und fest, daß ich ledig bleibe. Vorigen Sonntag war ich in Breslau, um die Geschichte ins Reine zu bringen, aber schon auf der Hinreise wurde mir heiß und kalt bei dem Gedanken, mich binden zu sollen. Für immer zu binden! Das ist ein schrecklicher Gedanke. Die Frau Mama war auch so diskret, mich mit der Kleinen allein zu lassen. Ellen war sehr liebenswürdig, aber glauben Sie, ich hätte ein Wort über die Lippen gebracht? Ich wurde von dem lächerlichen Einfall beherrscht, wenn ich den erforderlichen Kniefall thäte, würden mir die Unaussprechlichen über dem Knie zerplatzen, und dann kam im entscheidenden Moment die Mama mit einer unausstehlichen, dicken alten Kriegsrätin oder sonst einer Rätin, und ich wußte nicht, ob ich wütend oder seelenfroh sein sollte. Nachher war ich wieder im Garten bei der Kleinen allein, und bis auf den Kniefall hätte ich meine Herzenswünsche ganz gut anbringen können, aber da trieben sich wieder im Hintergrunde zufällig ein paar Gärtner herum, und die beiden Kerle und ihre Anwesenheit lähmten mir die Zunge. So bin ich unverrichteter Dinge wieder abgefahren, und nun wird auch — Gott sei's geklagt oder Gott sei Dank! — nichts aus der Verlobung, und ich sterbe unbeweibt.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_97.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)