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das dumpfe, gravitätische Murren der Unken bei, und der virtuose Nachahmer der Froschstimme wollte sich vor Lachen ausschütten; er lachte noch herzlicher als Wolfgang, der aus dem Häuschen getreten war, lächelnd sagte:

„Allen Respekt vor der behaupteten Zerrüttung Ihres Nervensystems, aber es ist doch ein kleiner innerer Widerspruch, wenn Sie im einen Augenblick einen Lobgesang auf die tiefe, lautlose Stille hier außen anstimmen und im nächsten die Frösche rebellisch machen.“

„Sie sind ein Spötter, aber es ist wirklich und wahrhaftig so weit mit mir, daß ich diesen Sommer wieder nach Helgoland muß —“

„Um Hummern zu essen, Katzenhaie zu angeln und Seehunde zu schießen, dafern es einem solchen unglücklichen Geschöpf einfallen sollte, sich im Bereich des Felseneilands zu zeigen.“

„Wollen Sie mich denn heute abend so fort ärgern, Herr Hammer? Aber wo bleibt denn mein Bruder? Er wollte schon vor einer Stunde hier sein.“

Die beiden Alfrede nannten sich „Bruder“ und führten echt brüderlich eine gemeinsame Finanzwirtschaft, die allerdings zuweilen an einem Deficit laborierte.

Der Bruder kam in diesem Augenblick durch das Dunkel gestürmt und warf sich erschöpft in einen Stuhl. Aus der Seitentasche seines Sommerpaletots verschiedene Bücher auf den Tisch legend, begann er in komisch-wehleidigem Tone:

„Machen Sie mich nur heute nicht schlecht. Ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß ich so spät —“

Aber Wolfgang fiel ihm ins Wort: „Keine Entschuldigungen -- Sie sind im voraus dispensiert, denn wir sind nachgerade daran gewöhnt, uns nicht mehr auf Sie zu verlassen. Sie sind da — und damit ist's gut. Was haben Sie mitgebracht?“

„Heute kommt Mark Twain an die Reihe, dessen A new pilgrims progress vor Ihren Augen sicher Gnade finden wird.“

„Und was wird, während wir uns abwechselnd vorlesen, aus unserem Froschvirtuosen?“

Ich höre zu, das ist wohl selbstverständlich,“ meinte dieser.

„Sie sagen das mit dem Tone der Beklemmung und mit der Miene eines Opferlamms.“

„Wollen Sie nun, um Ihrer Schändlichkeit die Krone aufzusetzen, auch noch bezweifeln, daß ich mich für die schöne Litteratur interessiere?“

Qui vivra verra — wer es erlebt, wird es sehen. Und ich fürchte, der Amerikaner wird Ihre Nerven affizieren.“

Der dicke Alfred ging statt einer Antwort an das Entkorken einiger Weinflaschen, die in einer Gießkanne bis an den Hals im Wasser standen, und das Einschenken absorbierte seine Aufmerksamkeit vollständig.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_96.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)