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da man einem jungen Manne von Ihrer Indisposition für Abenteuer leichterer Art kein Mißtrauen entgegenzubringen braucht; die Verantwortung, die ich übernehme, indem ich das hübsche Kind in meinen Dienst ziehe, verträgt sich also mit einer Erlaubnis, die zu erteilen ich anderenfalls Bedenken tragen würde.

Es wird mich freuen, recht bald wieder Gelegenheit zu erhalten, den paradoxen zu widersprechen, mit denen Sie so freigebig sind, und Ihnen vielleicht einmal den Beweis liefern zu können, daß trotz dieser Paradoxen einen wohlwollenden Anteil an Ihrem Ergehen nimmt

Ihre ergebene Leontine v. Larisch.

Wolfgang faltete das Briefchen mechanisch wieder zusammen, steckte es ins Couvert und legte dasselbe achtlos zur Seite. In tiefe Gedanken versunken, blickte er in die Flamme und sah dem Spiel der zartgeflügelten Motten und der kleinen Nachtfalter zu, die rastlos die Flamme der Kerze umkreisten, bis sie endlich mit versengter Schwinge auf den Grund der Lampe taumelten oder wie blind direkt in die Flamme flogen, die sie knisternd verzehrte. So überhörte er es, daß gemessene Schritte über den Kies der Wege knirschten, und der dicke Alfred, der auf der Schwelle erschienen war und sich mit dem seidenen Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn trocknete, schreckte ihn erst durch seinen Anruf aus seinem tiefen Sinnen auf.

„Ist das eine köstliche Nacht, Herr Hammer, und welche wunderbare Stille! Und wieviel Rosen sind aufgeblüht! Geben Sie mir ein paar? Ich möchte sie der hübschen Marie in der Konditorei verehren — das Mädchen ist wirklich recht niedlich.“

„Haben Sie wieder einen neuen Gegenstand der Verehrung entdeckt ? Sie sind außerordentlich findig und scheinen die kleinen Emotionen zum täglichen Brote zu rechnen?“

„Was wollen Sie? Man kommt ja in einem solchen Neste um, wenn das ewig Weibliche nicht wäre, und ich bin nun einmal eine zart besaitete Natur. Ja, lachen Sie nur — ich sehe freilich nicht danach aus, aber man sieht mir auch nicht an, daß ich krank bin und daß mir kein Doktor helfen kann. Die Kerle wissen alle nichts, sonst müßte ich doch das Ohrensausen längst los sein, das mich fortwährend quält. Sehen Sie, darum ist mir hier so wohl — diese köstliche Stille ist eine wahre Erquickung für mein überreiztes Nervensystem. Aber was machen denn eigentlich meine alten Freunde im Kanal? Sind sie heute aufgelegt?“

Und damit trat er an den Zaun, der das Kanalufer säumte, und ahmte das helle, triumphierende Quaken eines liebebrünstigen Frosches nach, indem er einen Finger der Linken in den Mund steckte und mit der Rechten streichelnd und pochend die aufgeblasene Backe bearbeitete. Die Wirkung war eine so vollständige, daß die graugrünen Schwimmer an allen Ecken und Enden rege wurden und daß in kurzer Zeit ein paar Dutzend von ihnen dem vermuteten Schicksalsgenossen antworteten; ihrer nur auf eine gemessene Entfernung genießbaren Musik mischte sich bald

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_95.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)