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ich denke, Ihr Herr Kamerad wird ja mit der Zeit sein etwas aufgeregtes Pferd auch wieder, in die Gewalt bekommen, und vielleicht hat er jetzt das Ihrige bereits eingefangen und kommt Ihnen mit demselben entgegen. Uebrigens soll, soweit ich dabei etwas thun kann, der ganze Vorfall für Sie keine anderen Nachwehen haben, als höchstens einen Schnupfen; daß Sie außer stande waren, den Anforderungen des militärischen Ehrbegriffes zu genügen, der vorschreibt, jeden Schimpf unverzüglich an Ort und Stelle im Blute des Gegners abzuwaschen, soll sich nicht an Ihnen rächen; ich gelobe Ihnen Stillschweigen auch über diese Begegnung, und Sie können auf dieses Versprechen ebenso fest bauen, wie auf ein Offiziers-Ehrenwort. Guten Weg, also, Herr Rittmeister.“

Er lüftete mit einer Höflichkeit, die nur einen ganz leichten spöttischen Anflug hatte, den Hut, und ehe der Rittmeister mit sich darüber einig geworden war, ob er einen neuen Streit beginnen oder Wolfgang für einen Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle erklären und ihm eine Art Abbitte leisten solle, war dieser mit Proud in den Wald getreten und seinen Blicken entschwunden.

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Wir finden Wolfgang einige Abende später in seinem kleinen, von wildem Wein überrankten Gartenhause; durch die halboffene Thür, die das Einströmen der lauen, von Blumenduft erfüllten Nachtluft gestattet, schimmert das flackernde, unruhige Licht der Windlampe. Wolf-gang hat aus der Brusttasche seiner leichten Bluse ein kleines, parfümiertes Briefchen genommen, aber sein Blick haftete nicht an der flüchtigen, feinen, graziösen Schrift, sondern an dem kleinen Maiblumenbouquetchen, das den Kopf des Bogens und die Siegelstelle des Couvertchens schmückt und das ihm ein Rätsel aufgiebt. Waltet hier ein neckischer Zufall und sucht ihn auf Irrwege zu locken oder soll er auf feine Weise Aufklärung darüber erhalten, wer die Absenderin des Straußes war, der ihm einst, auf dem Krankenbett, eine so liebe Ueberraschung bereitete? Diese Lösung des Rätsels wäre ihm unerwünscht, aber sie hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich, da sie sich mit dem Tone der Zuschrift, der vielleicht um eine Nüance zu vertraulich ist, recht wohl in Einklang bringen läßt, und seit dem Empfange des Briefchens hat er Momente gehabt, in denen sich seine Eitelkeit von dieser Lösung geschmeichelt fühlen wollte, wenn er sich auch im nächsten Augenblick über diese Erregung sehr ungeduldige und ehrlich gemeinte Vorwürfe machte.

Frau v. Larisch schreibt ihm:

Mein Herr!

Ihre kleine Schutzbefohlene ist bei mir gewesen und hat mir sehr gut gefallen. Es wurde mir also leicht, sie in meinen Dienst zu nehmen, daß ich darauf verzichten muß, für diesen Entschluß einen Dank Ihrerseits zu beanspruchen. Dieses Arrangement giebt Ihnen Gelegenheit, sich ab und zu von dem Ergehen der Kleinen persönlich zu überzeugen, und ich sehe keinen Grund, Ihnen dies durch Kautelen zu erschweren,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_94.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)