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förmlich um seine Achse, schleuderte seinen schweren Reiter, der dem Veuve Cliquot etwas allzu reichlich zugesprochen hatte und der auf den ungestümen Angriff Prouds nicht gefaßt gewesen war, aus dem Sattel in den Graben auf der anderen Seite der Straße und jagte mit flatternder Mähne und fliegendem Schweif laut aufwiehernd davon. Der Premierlieutenant hatte Wolfgang knirschend ein: „Loslassen!“ zugeherrscht, worauf ein kaltes: „Nachdem Sie sich entschuldigt haben werden!“ zur Antwort bekam. Diese Erwiderung und der gleichzeitige tragikomische Fall seines Gefährten brachten den hochfahrenden jungen Offizier um den letzten Rest von Besinnung; er hob die Reitgerte und führte einen wütenden Hieb nach Wolfgangs Kopf, aber die linke Faust des jungen Mannes, in dem der heiße Zorn der Jugend auflohte und dessen Energie durch die vorausgegangenen Seelenkämpfe eine finstere Färbung erhielt, fuhr nach seinem Handgelenk, um das sie sich wie eine stählerne Klammer legte; im nu hatte sie ihm die Gerte entwunden und der Hieb, den sie ihrem Besitzer quer übers Gesicht zog, hatte alle Eigen-schaften, die eine hochaufgelaufene, brennendrote Schwiele verbürgen. Ein zweiter heftiger Hieb traf die Weiche des Pferdes, dessen Zügel die Rechte freigegeben hatte; es zuckte vor Schmerz zusammen, tanzte einen Moment, sich aufbäumend, auf den Hinterfüßen und jagte dann mit seinem halbgeblendeten Reiter, der Mühe hatte, im Sattel zu bleiben, davon, von Proud eine kurze Strecke mit wütendem, dumpfen Gebell verfolgt, das in der lautlosen Stille der Nacht doppelt unheimlich klang und die Angst des Pferdes vergrößerte. Wolfgangs Pfiff rief das mächtige Tier zurück; mit einem Lächeln voll grimmigen Humors streichelte er den Kopf seines treuen Bundesgenossen und sagte: „Sieh an, alter Bursche, so also treiben's die ritterlichen Herrn? Nun, sie sind freilich bei uns an die Unrechten gekommen und werden an die Bescherung denken. Aber Teufel, was hast du denn mit deinem Mann angefangen? Mir war's doch, als hättest du ihn in den Graben befördert, und wir müssen ihn am Ende wieder herausfischen.“

Das war jedoch nicht nötig. Der Rittmeister half sich eben selber aus dem Graben, in dem er ein unfreiwilliges kaltes Bad genommen hatte; triefend vor Nässe und merkwürdig abgekühlt und ernüchtert, erschien er auf der Böschung, von Proud mit einem wenig vertrauenerweckenden Geknurr empfangen. Es klang ziemlich kleinlaut, als er Wolfgang ansprach:

„Nehmen Sie die wütende Bestie zurück, Herr, — Sie sehen, ich bin wehrlos.“

„Gewiß, Herr Rittmeister, jetzt bedarf ich seiner Hilfe nicht mehr; Sie werden indessen zugeben, daß bei einer Unsicherheit der Landstraßen, wie ich sie heute zu konstatieren habe, eine solche „wütende Bestie“ ein ganz unschätzbarer Begleiter ist. Ohne meinen wackeren Hund hätte ich jetzt das Vergnügen, wie eine gebadete Maus mich heimzutrollen, und ich gestehe, daß ich diesen Zustand eben nicht sehr begehrenswert finde. Sie sind, nebenbei gesagt, immer noch besser daran, als ich daran wäre

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_93.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)