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„Ihr Portepee würde mich nicht abhalten, Ihre Wange für eine Viertelstunde zu zeichnen, und wenn Sie versuchten, den Schimpf in meinem Blute abzuwaschen, gleichviel, ob ich bewaffnet oder nicht, so schlüge ich Sie nieder wie einen betrunkenen Bauer.“

Der Rittmeister, dem die Situation bedenklich zu werden begann, und der nicht umhin konnte, einzusehen, daß sie sich in eine prekäre Lage begeben hatten, daß sie von ihrem kaltblütigen und gewandten Gegner von vornherein ins Unrecht gesetzt waren und daß es Ihnen nicht gelingen würde, diesen Nachteil wieder auszugleichen, fürchtete den Jähzorn des Premierlieutenants, der nur mit Mühe noch an sich hielt, und er suchte dem Streit ein Ende zu machen. Er nahm einen fast väterlich ermahnenden und wohlwollenden Ton an, als er Wolfgang auf die Schulter klopfte und ihm sagte: „Junger Freund, Sie müssen selbst einsehen, daß wir uns hier unmöglich herumzanken können; Sie haben uns nach Ihrer Meinung die Wahrheit gesagt, wir haben Ihnen geantwortet, damit können wir's gut sein lassen. Wären Sie satisfaktionsfähig, so wäre die Sache äußerst einfach — wir wechselten unsere Karten und morgen oder übermorgen ein paar Kugeln, so aber, Sie begreifen — — “

„Ich weiß nicht, ob es mich nach dem Codex Ihrer sogenannten militärischen Ehre satisfaktionsfähig macht, daß ich im Jahre 1866 Lieutenant im k. k. österreichischen Jägerbataillon war und die große goldene Tapferkeitsmedaille und das Offiziersverdienstkreuz besitze?“ fragte Wolfgang.

Die beiden Offiziere sahen einander betreten an, und der Premierlieutenant bemerkte mit kühler, gemessener Höflichkeit und einer formellen Verbeugung:

„Dieser Umstand ändert die Sache allerdings ganz erheblich und —“

„Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche. Ob satisfaktionsfähig oder nicht, ich schlage mich überhaupt nicht.“

Der Premierlieutenant konnte nicht umhin, diese unerwartete Erklärung mit einem Hohn zu beantworten:

„Sie scheinen sehr praktisch, sehr klug und sehr vorsichtig zu sein, mein Herr. Im gegebenen Falle kann man Ihnen dazu allerdings nur gratulieren, denn in der ganzen Armee weiß man, daß ich eine gefürchtete Klinge schlage und daß ich schon mehr als einem eine Kugel zwischen die Augen geschossen habe, und ich könnte schließlich doch in Versuchung kommen, ein Meisterstück meiner Kunst an Ihnen zu machen.“

„Ich liebe das Renommieren nicht, kann Ihnen aber versichern, daß es noch sehr fraglich wäre, wer von uns unter ungünstigeren Bedingungen in den Zweikampf einträte. Das aber ist gerade der Grund, weshalb ich mich nicht schlage. Eine Sitte, die den Ungeübten und Kurzsichtigen dem Geübten und Falkenäugigen gegenüberstellt, ist ein Unfug, und wenn der Tüchtige und Brauchbare, das nützliche Glied der Gesellschaft, sein Leben als gleichwertig einzusetzen hat gegen das des Unwissenden

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_88.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)