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eine kleine, anmutig-heiße Liebelei mit dem blonden Sonderling, aber — wir kennen die Bedenken der klugen Weltdame von früher, und diese Bedenken hatten nichts von ihrer Stärke eingebüßt.

Es war schon Mitternacht, als sie endlich eine Pause dazu benützte, die beiden, deren freiwillige Isolierung im allgemeinen bei dem zwanglosen Charakter des Festes kaum aufgefallen war, aufzusuchen. Lächelnd wandte sie sich an Wolfgang:

„Sie erwarten einen Vorhalt darüber, daß Sie nicht tanzen? Seien Sie unbesorgt. Erstens haben Sie unzweifelhaft das bessere Teil erwählt, wenn Sie mit Martha plaudern, statt sich im Reigen zu schwingen, und dann — ich habe Ihnen bereits das Sonderlings-Privilegium eingeräumt, auf die Vergnügungen und Genüsse gewöhnlicher Menschenkinder mit einem Achselzucken herabblicken zu dürfen, und wundere mich keinen Moment darüber, daß Sie auch in dieser Hinsicht Ihrer Rolle getreu bleiben.“

„Wenn man schon dadurch ein Sonderling wird, daß man nicht tanzt, acceptiere ich die Bezeichnung — es fragt sich überhaupt noch, ob sie nicht eher ein Lob, als einen Tadel enthält; denn die meisten Menschen sind vielleicht nur darum unfähig, sich abzusondern, weil sie, allein mit ihrem eigenen trübseligen Ich, vor Langeweile umkommen würden.“

„Wird keinen Augenblick bestritten, mein Herr — es reizt mich nur, Sie zum Widerspruch herauszufordern, weil ich sicher sein kann, eine originelle Antwort zu erhalten, wie sie die meisten nicht zu geben wissen. Sie übertreiben ein wenig, aber ich bin ja nicht gezwungen, alles, was Sie sagen, für bare Münze zu nehmen und dafür, daß Sie gar nicht so absonderungslüstern sind, bürgt mir schon der Umstand, daß Sie Martha ein so treuer Ritter gewesen sind. Wissen Sie, daß ich bedaure, nicht auch haben zuhören zu können? Aber das läßt sich ja noch einigermaßen nachholen, indem ich mich hier eindränge, entschlossen, Sie fort und fort zum Widerspruch zu reizen.“

Und sie nahm Platz und verwickelte Wolfgang mit Laune und Geist in ein übermütiges Wort- und Witzgeplänkel. Plötzlich vermißte sie ihr Taschentuch und besann sich sogleich darauf, es in der Veranda liegen gelassen zu haben; Wolfgang stand auf, um es zu holen. Die nur matt erleuchtete Veranda war vollständig öde; nur an einem der Tische, die außerhalb derselben im Freien standen, mußten einige Herren, des Tanzens müde, Platz genommen haben, denn von dorther kam der Klang männlicher Stimmen. Er war gezwungen, zu hören, was da gesprochen ward, während er nach dem Tisch suchte, aber er achtete nicht weiter darauf. Plötzlich (er war eben im Begriff, das Tuch, das sich endlich gefunden, an sich zu nehmen) hielt er unwillkürlich den Atem an. War das nicht Martha, von der die Herren sprachen? Wie unwürdig ihm auch die Lauscherrolle erschien — sein Fuß wurzelte förmlich im Boden, und nun interessierte ihn auch die Einleitung des Gesprächs.

Die Stimme eines anscheinend noch jungen Mannes hatte in dem

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_84.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)