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seinem Alter verdankte, dessen Embonpoint jedoch dafür sprach, daß er in die behäbigen und bequemen Jahre kam, hatte sich zwischen Tischen und Stühlen bis zu den einsam Plaudernden durchgewunden und forderte Martha mit einer tiefen Verbeugung auf, ihm die Ehre eines Walzers zu gönnen. Sie war überrascht und verwirrt, ihre erste, instinktive Bewegung war, sich zu erheben, und sie würde dem Rittmeister, gewohnheitsmäßig, wenn auch mit Widerstreben und Bedauern, gefolgt sein, wenn ihr nicht plötzlich Wolfgangs lebhafte Abneigung gegen das Tanzen eingefallen wäre. Sie wagte nicht, ihn anzusehen, aber wozu war das auch nötig? Sie glaubte zu sehen, wie gespannt und erwartungsvoll sein Blick auf ihr ruhte. Sie irrte sich; Wolfgang betrachtete nachdenklich seine Stiefelspitzen, als ginge ihn das weitere nichts mehr an, und in seinen regungslosen Zügen war keine Spur einer Bewegung zu entdecken. Er war gespannt auf die Entscheidung, aber er wünschte fast, Martha möge dem Husaren folgen, damit er ein Recht erhielt, ihr gleichmütig den Rücken zu kehren, und doch — als sie, sich besinnend, des Rittmeisters Aufforderung ablehnte und ihm erklärte, daß sie diesen Abend noch nicht getanzt hütte und auch nicht tanzen würde, schoß ihm eine jähe Röte in die Wangen, und als der korpulente Kriegsmann seinen Rückzug bewerkstelligt hatte, sagte er leise, aber mit einem Ausdruck von Innigkeit, über den er selber erschrack:

„Sie haben mir eine große Freude gemacht, Fräulein Hoyer — ich danke Ihnen.“

„War die Ablehnung nach unserer Unterhaltung nicht eigentlich selbstverständlich?“

„Nein. Aber wir wollen das nicht weiter erörtern, sondern den abgerissenen Faden wieder aufnehmen, man wird uns hoffentlich nicht sogleich wieder stören.“

Und sie setzten ihr Geplauder fort, und die rauschenden Tanzweisen kamen wie aus weiter, weiter Ferne zu ihnen; beide hörten immer nur die eine liebe Stimme, die durch einen einzigen Laut all' jene leichten, seichten Melodien aufwog, und die Zeit verging ihnen mit einer unerklärlichen Schnelligkeit, die beinahe etwas Belustigendes hatte und die doch auch wieder betrübend war. Frau v. Larisch und Fräulein Emmy waren so unausgesetzt von ihren Tänzern umschwärmt, daß sie nicht zuzugeben brauchten, das eigentümliche Paar recht geflissentlich sich selber überlassen zu haben; dennoch würde namentlich die gewandte Frau v. Larisch keine Mühe gehabt haben, ihren Verehrern zu entschlüpfen, wenn ihr nicht gerade daran gelegen gewesen wäre, die beiden ungestört zu lassen. Diese Neigung war ihr ein psychologisches Problem, dessen Lösung sie reizte, und es beschäftigte sie in einer anregenden Weise, zu beobachten, wie diese beiden ungewöhnlichen Menschen bald mit kühnen Siebenmeilenstiefelschritten einander näher kamen, bald wieder vor einem winzigen feuchten Gesicker bedenklich Halt machten, das über den Weg sich zog und ihnen höchstens die Schuhsohlen genetzt haben würde. Es gab nur eins, was wohl noch interessanter sein mußte, als dieses Beobachten -

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_83.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)