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zum Tanz?“ Von allen Seiten drängt man nach dem Saal — die paar Noten thun Wunder und beflügeln alle Füßchen. Auf Wiedersehen also in der Kolonne, die zur Polonaise antritt.“

Wolfgang erwiderte nichts, aber er warf einen fragenden Blick auf Martha und es berührte ihn wohlthuend, daß er ihre Kleidung, die er bisher nicht beachtet hatte, keineswegs ballmäßig fand — sie war, ohne gesucht frauenhaft zu sein, ein stummer Protest gegen die Vermutung, als wolle auch sie noch zu den tanzlustigen jungen Mädchen gerechnet sein, und man würde es ihr durchaus nicht haben verübeln können, wenn sie sich eine Nuance jugendlicher gekleidet hätte.

„Sie beabsichtigen natürlich ebenfalls, sich nun nach dem Saal zu wenden?“ fragte er. „Ich tanze nicht und auch das passive Zusehen macht mir kein Vergnügen, ich suche also lieber wieder den Garten auf und genieße den schönen Abend.“

Martha sah ihn, schmerzlich überrascht, fast bittend an: „Ich hatte gehofft, Sie würden mich nicht meinem Schicksal überlassen. Ich muß allerdings hinüber, aber ich werde so wenig als möglich tanzen, und wir hätten also plaudern können, vorausgesetzt, daß Ihnen das noch Vergnügen macht.“

„Wenn Sie meine Unterhaltung dem Tanzen vorziehen, ist es ja selbstverständlich, daß ich bei Ihnen bleibe, aber ich hatte eben daran gedacht, daß niemand an der Seite einer tanzlustigen Dame überflüssiger ist, als ein Herr, der selbst nicht tanzt und es verschuldet, daß sie nicht engagiert wird.“

Sie traten in den Saal, in welchem die Polonaise begonnen hatte, und Martha hatte mit raschem Ueberblick bald ein Plätzchen ausgespäht, das abgelegen war ohne versteckt zu sein und ihnen die Möglichkeit zusicherte, sich nach Wunsch zu isolieren. So hatte die Plauderei, die sich sofort entspann und die sehr bald den Charakter jener Vertraulichkeit annahm, die sich zwischen wahlverwandten Naturen oft in der ersten Viertelstunde der Bekanntschaft entwickelt, keine Zeugen — es war freilich auch eine Plauderei, die sich in diesem Ballsaal ausnahm, wie eine Tropenblume in einem märkischen Föhrenwalde, eine Plauderei, die Fräulein Emmy sicherlich ennuyant zum Sterben gefunden hätte. Ein Austausch von Bemerkungen und Reflexionen über jene kleinen Liebhabereien und Aversionen, aus denen man sich oftmals den ganzen Menschen konstruieren kann — nichts weiter, und dieser Austausch ward nicht einmal durch das Zutagetreten von Gegensätzen pikant gewürzt. Martha sah oftmals ein Lächeln auf Wolfgangs Lippen, wenn sie ihm wieder mit den Schlußworten einer Gedankenreihe entgegenkam und ihm so bewies, daß ihr diese Gedankenreihe längst vertraut geworden war, nun sie traf oftmals mit einem Wort das Wesen des erörterten Gegenstandes so glücklich, daß der ernste junge Mann nicht in Zweifel darüber sein konnte, ein Mädchen vor sich zu haben, das ebenso rastlos und ebenso energisch nachgedacht hatte, wie er selber, wenigstens auf allen den Gebieten, auf die ihr bescheidener, eher zaghafter als unternehmender

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_80.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)