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und etwas Gemüse zog. Mit Vergnügen hatte sie dieses Stück Land an ihn abgetreten und ihm gestattet, in demselben nach freiem Belieben zu schalten und zu walten, und mit Hilfe eines alten Gärtners hatte er sich daran gemacht, den halb wüsten Komplex zu einem freundlichen Garten umzuschaffen, was denn auch in der Hauptsache bereits gelungen war. Das halb verfallene gemauerte Häuschen, das zwischen den Bäumen stand, hatte sich mit geringen Kosten wieder in wohnlichen Stand setzen lassen; von wildem Wein überwuchert, bot es einen freundlichen Anblick, und den Sommer über wollte er draußen bei offener Thür und halb im Freien lesen und studieren. „Und dichten“, ergänzte Martha, beinahe zaghaft, aber mit einem so gewinnenden Lächeln, daß er für die Erwähnung seiner poetischen Versuche nicht einmal das unmutige Aufwerfen der Lippen hatte, das ihm sonst für derartige Indiskretionen zur Verfügung stand. Die Antwort, die ihm auf der Lippe schwebte, wurde ihm durch eine unerwartete Begegnung abgeschnitten, die dem Gespräch sofort eine andere Wendung gab. Der Rektor Storck und der Bürgermeister kamen ihnen in fast aufgeregtem, anscheinend politischem Gespräch entgegen und während letzterer höflich grüßte, schossen die Augen des ersteren, indem er vor Martha eine devote Verbeugung machte, einen Blick auf Wolfgang, in dem so viel Feindseligkeit und Haß lagen, daß Martha, als die beiden vorüber waren, nicht umhin konnte, Wolfgang zu fragen, ob er dem Rektor etwa Anlaß gegeben habe, ihm übelzuwollen. Wolfgang hatte keinen Grund, sein Rencontre mit dem Schulmonarchen zu verheimlichen; er erzählte dasselbe mit Laune und Humor und machte mit einem freudigen Staunen die Entdeckung, daß seine ernste Begleiterin aufs herzlichste zu lachen verstand. Die Demütigung, die der Hochmütige erfahren hatte, schien ihr zur persönlichen Genugthuung zu gereichen und sie machte kein Hehl daraus, daß ihr der Mensch in tiefster Seele antipathisch sei, obgleich er vor Jahren eine seiner Tanzkompositionen nach ihr getauft und ihr gewidmet habe — eine Ehre, die sie allerdings mit jeder seiner Schülerinnen im Klavierspiel teile. Sie waren so, ohne Acht aus den Weg zu haben, an die Pforte im Wildzaun gelangt, durch welche man aus dem Park in die königlichen Forste gelangen konnte und vor der sie nach ihrer ersten Begegnung voneinander schieden. Beiden drängte sich die Erinnerung an jene erste Begegnung auf und Wolfgang fragte: „Sind Sie nicht an dem Abend, wo der lichtgraue Stier so freundlich war, unsere Bekanntschaft in etwas ungewöhnlicher Weise zu vermitteln, durch diese Thür in den Park getreten?“

„Gewiß — aber wissen Sie auch, daß ich an jenem Abend doch etwas eingebüßt habe. Ich vermißte später einen meiner Handschuhe — mutmaßlich ist er an der Stelle liegen geblieben, wo wir meine kleine Blessur entdeckten.“

„Ich kann Ihnen Aufschluß geben — Ihre Vermutung trifft nicht zu. Ich habe den Handschuh damals mechanisch eingesteckt und vergessen,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_77.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)