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zarter und schüchterner Weise Ausdruck lieh; Frau v. Larisch, die eine sehr distinguierte Toilette gemacht hatte und reizend aussah, begrüßte ihn mit einer heiteren Freundlichkeit, über der es doch wie ein Hauch von Befangenheit lag; sie fragte sich, welcher Ausdruck wohl in seinen Augen liegen würde, hätte er nur eine Ahnung davon, daß ihre Lippen die Stirn über ihnen flüchtig gestreift hatten, und als er scherzend sagte, er hoffe, im Laufe des Abends Gelegenheit zu erhalten, ihr eine Bitte vortragen zu können, an deren Gewährung ihm viel gelegen sei, gab sie ihm, als stehe sie in seiner Schuld, eifrig die Versicherung, daß er sie jeden Augenblick bereit finden werde, ihn anzuhören, und daß er seine Bitte im voraus als gewährt ansehen möge, vorausgesetzt, daß die Gewährung in ihrer Macht liege. Während dieser Begrüßung stand Martha in dem Salon, der seine Flügelthüren nach dem Garten öffnete, und ordnete die Blumen in einer Vase; sie hatte Wolfgang kommen sehen und sich hierher geflüchtet, weil sie sich momentan unfähig gefühlt hatte, ihm gleichmütig gegenüber zu treten, und auch jetzt noch schwankte und zauderte sie, ob sie ihm nicht überhaupt so lange als nur möglich ausweichen solle. Auch sie dachte an den heimlichen Krankenbesuch — aber ihr nahm diese Erinnerung alle Herrschaft über ihr Empfinden, und der junge Mann durfte doch nicht ahnen, wie sie um ihn gezittert und geweint, wie sie gelitten und gezagt hatte. Und Wolfgang, der sie doch überall mit den Augen suchte, mochte nicht nach ihr fragen, und so währte es ziemlich lange, bis sie einander plötzlich zufällig gegenüberstanden.

Eine momentane Verwirrung kam über beide, aber sie faßten sich rasch und Wolfgang fand so schnell den herzlichen, natürlichen Ton wieder, den Martha heimlich unwiderstehlich nannte und bei dem ihr so wohl ward, daß sie fast unbefangen ihren Arm in den seinen legte, als er sie zu einer Promenade durch den Garten aufforderte, den er ja noch nicht kannte. Die Gäste hatten sich in größeren und kleineren Gruppen nach Laune und Zufall in den Parterrelokalitäten des Hauses, in Garten und Park zerstreut, jedes Ruheplätzchen war von einer animierten kleinen Gesellschaft eingenommen, bei jeder Krümmung der Wege fast stieß man auf einen solchen Kreis näherer Bekannter, und überall war Gelächter und Stimmengeschwirr und Gekicher, und die bunten Frühlingsgewänder der jungen Mädchen schimmerten durch die lichtgrünen Büsche. Aber das kümmerte die beiden wenig, die langsam dahinschritten und vor jedem Rondel, vor jedem Rosenbäumchen, vor jeder Blattpflanzengruppe stehen blieben und einander in der innigen Freude an der Natur unbewußt näher traten, als sie dies vor einer Stunde für möglich gehalten hätten. Es machte Wolfgang ungeahntes Vergnügen, Martha zu erzählen, wie er selbst in den Besitz eines Gartens gelangt sei und wie wohl er sich in seinem kleinen grünen Reiche fühle. Seine Wirtin besaß, außerhalb der Stadt und auf drei Seiten von einem beinahe stagnierenden Kanal umflossen, einen ziemlich großen Gras- und Obstgarten, in dem sie nebenher noch einige Küchenkräuter

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_76.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)