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man kam auch von allen Seiten und drückte Wolfgang die Hand, und mehr als ein älterer Bürger, der bisher in seiner arglosen Gutmütigkeit den Herrn Rektor für einen Ausbund von Gelehrsamkeit und für alles Wissen unerschöpflichen Born gehalten hatte, schüttelte den Kopf und meinte: „Heute hat der Rektor aber unrecht gehabt und der Herr Hammer hat es ihm ordentlich gegeben; der Herr hat Haare auf den Zähnen und vor dem mag der Rektor sich nur in acht nehmen.“ In noch viel entschiedenerer Weise äußerten sich die Sympathien der Jugend, auf die das leise, grollende Vibrieren der Stimme und der Zug und Schwung, der durch die ganze Erklärung ging, elektrisierend gewirkt hatten; bei manchem, der der Feuerwehr angehörte, hatte der entschiedene, freimütige Sprecher bereits ein günstiges Vorurteil für sich gehabt und der Rektor, dessen so unverhüllt zu Tage tretende Selbstgefälligkeit gerade die schlichtesten und wackersten Naturen verletzte, war nie so recht populär gewesen, und die Zahl derer, die ihm die Abfertigung von Herzen gönnten, war keine geringe. Der so unerwartet aus dem Sattel Gehobene ließ sich durch den Anblick der seinem siegreichen Gegner entgegengebrachten warmen Sympathien um den letzten Rest von Besonnenheit und Würde bringen. Glut und Blässe wechselten jäh auf seinem Gesicht, und der verletzte Schulmeisterhochmut unterdrückte jede andere Rücksicht und selbst die Erwägungen der einfachen Klugheit; er stieß die Erklärung hervor, die Selbstachtung verbiete ihm ein Weiterwirken in dem Verein, in dem er in so unerhörter Weise beleidigt worden sei, und der Tag sei hoffentlich nicht fern, an dem die Mitglieder zu der Ueberzeugung gelangen würden, daß sie undankbar gewesen seien und obendrein einen wenig vorteilhaften Tausch gemacht hätten. Wenn er glaubte, mit dieser in brüskem und hochfahrendem Tone abgegebenen Erklärung eine niederschmetternde Wirkung zu erzielen, so irrte er sich sehr; der Rückzug, den er mit demonstrativer Ueberstürzung antrat, wurde teils mit eisiger Kälte, teils mit spöttischem Achselzucken mit angesehen, und das von einigen Sitzen erschallende ironische Gelächter gereichte namentlich Krone zur innigsten Genugthuung. Daß die bisher von ihm schlecht und recht vertretene Sache, an der sein ganzes Herz hing, in so glänzender und ungeahnt vollständiger Weise triumphierte, erfüllte ihn mit einem in Worten nicht auszudrückenden Gefühl von Glück, und er war rot vor Freude, wie ein junges Mädchen, der ein begünstigter Tänzer auf einem Balle mit dem Ausdruck voller Bewunderung die Versicherung zuflüstert, daß sie zweifellos die Schönste und Anmutigste im Saale sei. Wenn seine Befriedigung über den Ausgang des von ihm eingefädelten Kampfs noch einer Steigerung fähig gewesen wäre, so würde sie in dem Augenblick eingetreten sein, in welchem Wolfgang, bei dem der flüchtige Rausch des Triumphs rasch verflogen war, mit ruhiger Sicherheit erklärte, daß der Verein durch den Streik des Herrn Rektors nichts einbüßen solle; für jenen selber hoffe er durch seine Person Ersatz zu bringen und der möglicherweise eintretenden Fahnenflucht anderer Lehrkräfte werde er jedenfalls auch die Spitze

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_74.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)