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ihn vielleicht im Dienste der Wahrheit ins Gefecht rief, mit ungetrübter Gemütsruhe entgegen. Sein Erscheinen im Saal rief eine gewisse Bewegung hervor; man war erstaunt über sein Kommen, aber da er sich bereits der Sympathien der Bevölkerung erfreute, so war diese Ueberraschung eine fast freudige, und diese Stimmung kam ihm im Notfalle sicher zu statten. Der Steiger Krone, der sich in eine ziemlich dunkle und entlegene Ecke gedrückt hatte und dort unter dem breitkrämpigen Filzhute an seinem Schnurrbart kaute und in Ungeduld und Erregung die mit den Zähnen faßbaren Haarspitzen abbiß, zwinkerte ihm nur mit den klugen, grauen Augen verstohlen zu und deutete ihm durch eine leichte Handbewegung an, daß er noch weiter nach vorn gehen, sich aber jedenfalls nicht zu ihm setzen möge, und Wolfgang erriet seine Absicht. Er hielt es für geraten, zunächst das Terrain ein wenig zu sondieren und ließ sich dem Herrn Rektor, der sich mit einer Art von Stab bereits eingefunden hatte, vorstellen. Der Mann mißfiel ihm in hohem Grade. Das lange, schmale, lederfahle Gesicht mit den kleinen, stechenden, geschlitzten Augen, den abstehenden, unerlaubt umfangreichen Ohrmuscheln, dem großen, entschieden unedlen Mund und dem zurückliegenden Kinn, der zwischen schmalen Schultern sich aufbauende lange, magere Hals, die aufgeblasene Pose des Schulmonarchen, der die linke Hand auf den Schenkel stemmte und die rechte zwischen Weste und Hemd versenkte, die durch die Umstände in keiner Weise motivierte Wichtigthuerei des Männleins — alles stieß ihn ab, und er fühlte, daß er ihm im Notfalle schärfer entgegentreten würde, als einer minder herausfordernden Persönlichkeit. Er konnte übrigens die Beobachtung machen, daß der Weise des Städtchens von seiner ironisch-artigen Bemerkung, „er sei auf seinen Vortrag um so gespannter, als er sich mit Darwin, Vogt, Häckel u. s. w. häufig und eingehend beschäftigt habe“, gar nicht sehr erbaut zu sein schien. Er erwiderte mit sauer-süßer Stimme, daß er ihm dann wohl um so weniger Neues werde sagen können, als er die Hypothese Darwins „vorwiegend aus philosophischen, religiösen und ethischen Gesichtspunkten“ zu beleuchten gedenke, während er die naturwissenschaftliche Begründung der Theorie nur nebenbei berühren könne, und Wolfgang wußte nun schon, was er zu hören bekommen werde. Was der Herr Rektor, von seinen Getreuen pflichtgemäß mit demonstrativem Beifall begrüßt, im docierenden Schulmeisterstil zum besten gab, übertraf jedoch alle seine Erwartungen, und war so überaus matt, lahm, schief und seicht, daß ihm Krones Ingrimm völlig verständlich wurde. Die Enden seines Schnurrbarts um die Finger wickelnd, hörte Wolfgang aufmerksam zu; er hatte nicht einmal nötig, sich Notizen zu machen, da die großen Grundirrtümer des Vortragenden zu ihrer Widerlegung schon so viel Zeit erforderten, daß er ihm die Nebenumstände sämtlich schenken mußte. In den vordersten Reihen der Zuhörer rührten sich, als der Herr Rektor abtrat, einige Hände; die übrige Hörerschaft verhielt sich ungewöhnlich kühl, und diese für seinen maßlosen Ehrgeiz sehr empfindliche Wahrnehmung hatte noch nicht voll

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_72.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)