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nun sehen Sie nur, wie sie meinen armen Proud zugerichtet haben — wollen Sie mir gleich helfen, ihm die Kletten aus dem Fell zu zupfen, die sich festgenestelt haben, als wären sie mit den Haaren verwachsen?“ Und gehorsam kauerte sie hin, und trotz ihrer Erregung war sie noch Kind genug, um über die wunderlichen Bewegungen des sich sehr unbehaglich fühlenden und nach rückwärts schnappenden Tieres durch Thränen zu lächeln.

Als sie im Begriff standen, sich wieder mit den beiden Frauen zu vereinigen, die nach und nach doch eine leichte Verwunderung über dieses lange Ausbleiben nicht hatten unterdrücken können, fragte Wolfgang, dem plötzlich ein Einfall kam, ob das junge Mädchen wohl nach W. ginge, wenn sie dort in einer Familie mehr als Gesellschafterin und Gehilfin, denn als Dienerin Aufnahme fände — sie gab ihm, von einer schmerzlichen Aufwallung übermannt, ein so melancholisches: „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gleichgültig mir der Ort ist, an dem ich künftig leben soll“ zur Antwort, daß er sie fast wie mahnend ansah. Sie faßte sich auch rasch, versicherte ihm, daß ihr jede Stellung die er vielleicht, um seiner Güte für sie die Krone aufzusetzen, für sie auswirke, recht sei und daß sie dem, was er ihr anbiete, vertrauensvoll den Vorzug vor jedem anderen Anerbieten geben würde, und mit echt weiblicher Geistesgegenwart und Verstellungsfähigkeit rief sie ihrer Tante vorbeugend zu, daß sie sich total verlaufen gehabt hätten und daß sie schon in Zweifel gewesen seien, ob sie noch vor Dunkelwerden aus dem Walde ins Freie sich finden würden.

Man ging gemeinsam heim, und als Wolfgang sich mit einem leisen: „Sie werden jedenfalls in kurzer Zeit von mir hören und inzwischen behalten Sie den Kopf hübsch oben und vergessen Sie nicht, daß Ihnen ein Freund geraten hat“ von ihr verabschiedet hatte, war er in innerster Seele mit sich zufrieden und ein wenig stolz auf sein diplomatisches Talent. Wie eigen hatte doch der Zufall hier gespielt! Die Intervention die ihm halb und halb als eine Menschenpflicht erschienen war, als er von dem jungen Mädchen noch nichts weiter wußte, als was ihm seine beiden Freunde erzählt hatten, nun war sie ihm förmlich aufgenötigt worden.

Der Abend des voraussichtlich eine mehr oder minder scharfe Widerlegung erheischenden rektorlichen Vortrags über die Descendenzlehre fand Wolfgang in großer Gelassenheit. Er war mit der Lehre Darwins genau bekannt, er war über die Weiterentwicklung derselben durch die deutschen Forscher, die mit Kühnheit und Energie die logischen Konsequenzen der Sätze des vorsichtigen und zurückhaltenden Engländers zogen, genügend orientiert, und er wußte, daß ihn kein ungestümes Drängen des Blutes nach dem Gehirn in der freien und besonnenen Verfügung über jedes einzelne seiner Beweismittel beirrte. Ohne Anspruch darauf zu machen, ein Redner zu sein, wurde er durch diese kaltblütige Ruhe in den Stand gesetzt, glatt und fließend, in klaren, bestimmten Sätzen zu sprechen, und so sah er also dem Vortrage, der

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_71.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)