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die Nachricht von der Verlobung des einen oder beider erhielte; er hatte ihr in der mildesten Form angedeutet, daß die beiden doch bereits anfingen, das erst mit einer wahren brüderlichen Schwärmerei gehegte Verhältnis zuweilen lästig und beengend zu finden, seit sich aus dem Kinde das junge Mädchen entpuppt habe, und er hatte kein Hehl aus seiner Ueberzeugung davon gemacht, daß besonders der lange Alfred erleichtert aufatmen werde, wenn sie in einer freundlichen Form die bereits zu intim gewordenen Beziehungen wieder auf ein neutrales Gebiet hinüberspiele und die Stadt verlasse; in ihrer Macht liege es, den Briefwechsel, der in der ersten Zeit ja unvermeidlich sei, nach und nach auf ein Minimum zu reduzieren. Das arme Kind, das seine Illusionen zerstört sah, ohne mit Verstandesgründen gegen Wolfgangs eiserne Logik ankämpfen zu können und ohne an einem unbeirrbaren Gefühl einen Bundesgenossen gegen diese schreckliche Logik zu haben, hatte sich nach vielen Thränen zu dem Entschlusse aufgerafft, sich in die Trennung zu fügen und dieselbe ihrerseits zu einer vollständigen zu machen, wenn sie aus dem Verhalten der beiden und namentlich des langen Alfred — hatte er doch einen Vorzug vor seinem Kollegen gehabt? — bei der Ankündigung von ihrem Weggange entnehmen könne, daß ihnen schließlich doch, wenn auch uneingestandenerweise, ein Gefallen damit geschehe. Sie lächelte traurig, als sie hinzufügte, es solle ihnen nicht gelingen, sie durch die Versicherung ihres Bedauerns darüber zu täuschen, daß mit diesem Bedauern doch eine entschiedene Genugthuung über diese Lösung verbunden sei, und wenn ihr Gefühl, auf das sie sich verlassen dürfe, ihr bestätige, daß Wolfgang recht gehabt habe, so sei er zum zweitenmal ihr Retter geworden und ihr Dank für diese Rettung, den er gewiß nicht ablehnen könne, werde ein lebenslänglicher sein. Es fiel ihr übrigens jetzt ein, daß die jungen Leute zuweilen wirklich ein etwas zerstreutes und verlegenes Wesen an den Tag gelegt hatten — hatten sie unter dem Bann der Unnatur und Unklarheit des ganzen Verhältnisses gestanden, hatten sie Besuch erwartet, oder gefürchtet, mit ihr dem oder jenem Bekannten zu begegnen, der nichts von diesem geschwisterlichen Verhältnis wissen durfte, weil er unfähig war, es als ein geschwisterliches aufzufassen?

Unser schnurrbärtiger Freund und das hübsche Kind mit den braunen Rehaugen gingen auf einem begrasten Dammweg, der das Hochwasser des Frühlings von der wildreichen Niederung abhielt; das junge Mädchen, das sich, wenn auch von geschickter und sanfter Hand, einer so schmerzhaften Operation unterworfen sah, hatte sich eine handvoll Kletten abgestreift, die sie, ganz in ihre Gedanken versunken, Proud mechanisch nach und nach ins Fell warf, und Wolfgang konnte, als sie am Ausgang des Waldes ihm die Hand hinhielt und, mit verschleiertem Blick die Thränen gewaltsam hinabschluckend, ihm sagte: „Ich danke Ihnen — und Sie sollen auch mit mir zufrieden sein“ — der aufsteigenden Rührung nicht anders Herr werden, als indem er erwiderter „Ich glaube Ihnen aufs Wort — Sie haben ein tapferes Herz. Aber

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_70.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)