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Das kleine Abenteuer hatte äußerlich nur ein ganz bedeutungsloses, kaum erwähnenswertes Nachspiel. Eines Morgens fiel der Blick des Erwachenden auf einen reichen Strauß frisch erblühter Maiblümchen, den Frau Meiling in ihre schönste Vase gesteckt hatte. Er ließ sich die Vase auf das Tischchen neben seinem Bett stellen und als Frau Meiling das Zimmer verlassen hatte, drückte er das Gesicht tief in den zierlich geordneten Strauß, als gelte es, seinen Duft wie einen Gruß des frühlingsfrischen Waldes einzusaugen, den er wochenlang hatte entbehren müssen, aber er wagte nicht zu fragen, wer den Strauß gebracht oder geschickt habe, aus Furcht, die Antwort werde die Illusion zerstören, die ihm so wohl that. Als im Laufe des Tages seine Wirtin von freien Stücken davon anfing, daß der Strauß durch ein kleines, ärmlich gekleidetes Mädchen gebracht worden sei, zogen sich seine Brauen ungeduldig zusammen und er atmete auf, als er hörte, daß die Kleine nur gesagt habe, sie solle den Strauß abgeben — von wem er sei, wisse sie nicht und sie dürfe auch nicht sagen, wer ihn ihr gegeben habe. Diese geheimnisvolle Ungewißheit ließ die Hypothese, in die er sich verliebt hatte, am Leben und mit fast krankhafter Reizbarkeit klammerte er sich an den Gedanken, daß Martha Hoyer es sei, die in so zarter Weise ihre Teilnahme an seinem Ergehen zu erkennen gab. Dafür, daß der Strauß aus Damenhänden kam, konnte ihm wohl schon der Umstand bürgen, daß er mit dunkelgrüner Seide sehr sorgsam und accurat gebunden war, und als er Frau Meiling bat, die Stengel der Haft zu entlassen und sie lose in die Vase zu ordnen, da war es ihm vielleicht ebenso sehr darum zu thun, diesen seidenen Faden in seinen Besitz zu bringen, als darum, die Blumen etwas länger frisch zu erhalten.

Die Wiederherstellung des sorgsam Gepflegten ward durch keinen Zwischenfall unterbrochen, und als ihm der Arzt Mitte Mai eröffnete, daß er bei günstiger Witterung Ende der Woche den ersten kleineren, dann aber auch wieder einen größeren Spaziergang unternehmen und am Montag seine geschäftliche Thätigkeit wieder aufnehmen dürfe, ordnete er für den Sonntag die infolge seiner Verwundung verschobene Abhaltung der für das Frühjahr festgesetzten Geräteprobe der freiwilligen Feuerwehr an und lieferte so in aller Form und für jedermann den Beweis, daß er seinen Posten wieder eingenommen habe. Das kleine Schauspiel, dem der Bürgermeister und einige Mitglieder des Stadtverordnetenkollegiums in offizieller Eigenschaft beiwohnten, hatte dies Jahr eine ungewöhnliche Zuschauerzahl herbeigelockt; das Gerücht, daß der Hauptmann wieder kommandiere, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet; alles wollte ihn sehen, und die Frauen und Mädchen, denen das Dabeisein besonders am Herzen gelegen hatte, kamen darin überein, daß er wieder ganz schmuck aussehe, nur noch etwas blaß und angegriffen.

Wolfgang selber war es peinlich, der Gegenstand geschärfter Aufmerksamkeit zu sein, und je mehr ihn jeder Blick an den letzten Brand und an seine Verwundung erinnerte, desto sorgfältiger vermied er es,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_65.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)