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ich habe mit der genialen Orthographie des Herrn Rektors und seiner verwegenen Interpunktion meine liebe Not gehabt.“

Die gesunde Derbheit und der ehrliche Ingrimm, die diese Darlegung charakterisierten, hatten Wolfgang nicht nur belustigt, und er hielt Krone die Hand hin und sagte gut gelaunt:

„Ich bin kein Freund des Redenhaltens und Debattierens, aber im Notfall stelle ich schon meinen Mann, und Ihr Herr Rektor wird sich entschieden im Lichte stehen, wenn er wirklich die Unverfrorenheit hat, die „Irrtümer Darwins“ beleuchten zu wollen. Ich komme also, sobald Sie mich benachrichtigen, daß der Vortrag stattfindet, und ich verspreche Ihnen weiter, dem würdigen Pädagogen die Perücke ganz gehörig zu zerzausen, wenn er, wie vorauszusehen ist, fälscht und verdreht. Sind Sie zufrieden?“

Der brave Krone war feuerrot vor Freude geworden — er preßte Wolfgangs Hand mit so herzhaftem Druck, daß dieser sich gerade keine Wiederholung wünschte, und die blaugrauen Augen blitzten in fast wilder Befriedigung. Als nun Wolfgang vollends hinzufügte, daß ihm der, Bismarckkultus, der in Deutschland getrieben werde, als eine Thatsache erscheine, die sich der ernstlichen Beachtung der Irrenärzte empfehle und für deren Verständnis ihm thatsächlich die Organe abgingen, gelobte sich Krone im stillen, seinen jungen Hauptmann fernerhin gegen jedermann bis aufs äußerste zu vertreten — wer etwas gegen ihn hatte, bekam es mit ihm zu thun und er sollte einen harten Stand haben. Wer weiß, wie lange Krone noch am Bett Wolfgangs gesessen hätte, wäre Frau Meiling nicht (zum sechstenmal) ins Zimmer getreten und hätte Wolfgang einen Wink mit den Augen gegeben — bei Krone war mit solcher Zeichensprache, wie sie bereits erprobt hatte, nichts auszurichten, so daß sie sich an den Verwundeten selber wenden mußte. Dieser verstand sie auch sogleich und sagte lächelnd: „Nun aber machen Sie, daß Sie fortkommen, Krone, wenn Frau Meiling Sie nicht hinauswerfen soll; unsere lange Unterhaltung hat ihre höchste Mißbilligung, und ich glaube, wir sind nach ihrer Meinung auch um ein Erhebliches zu laut gewesen, und wenn Sie das Feld geräumt haben, wird sie mir in mütterlich-strafendem Tone eine Vorlesung über die Schädlichkeit jeder Aufregung halten und ich werde Mühe haben, daß zu Gunsten meines Retters eine Ausnahme gemacht werden mußte.“

In der That war Frau Meiling gar nicht damit einverstanden, daß der ihrer Obhut anvertraute Rekonvalescent eine so lange Audienz gab. Und als Krone gegangen war, schärfte sie Wolfgang beinahe ängstlich die Notwendigkeit ein, sich nunmehr unbedingte Ruhe zu gönnen und nicht etwa noch lesen zu wollen. Wolfgang war auch wirklich müde und verfiel in eine tiefen, träumelosen Schlaf, in dem ihm aber etwas recht sonderbares passieren sollte, ohne daß es ihm zum Bewußtsein gelangte.

Frau v. Larisch war, als sie den Brief ihrer kleinen Freundin Emmy gelesen hatte, keinen Augenblick im Zweifel darüber gewesen, daß sie

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_60.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)