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auf welche Motive Du ihren aufopfernden Heroismus zurückführtest. Apropos, die beiden Fräulein Steiger, auf die Du es ganz besonders abgesehen hattest, haben sich mir gestern in geradezu unmöglichen Toiletten präsentiert — die Details mündlich. Du kommst doch, wenn auch nicht als barmherzige Schwester? Es ist so tot bei uns — mit Martha ist gar nicht zu reden. Wenn man eine Frage an sie richtet, bekommt man einen förmlich tragischen Blick zur Antwort, der auszudrücken scheint: „Wie kann man nur verlangen, daß ich mich um solche Dinge bekümmern soll, so lange Wolfgang Hammer verwundet zu Hause liegt?“ Ich habe auch eine Menge Toilettenfragen mit Dir zu besprechen und komme mir ohne Deinen Rat vor, wie ein Fisch auf dem Lande. — Das ist vielleicht der längste Brief, den Du je von mir bekommen hast. Ich hoffe, Du wirst diese Anstrengung zu würdigen wissen und recht bald durch Dein Kommen erfreuen

Deine Emmy.

P. S. Vergiß nicht, die Stickmuster, den Oleanderzweig, das Rezept zu den russischen Gurken, den Taillenschnitt, die Photographie der Rabe, die „Kalifornischen Erzählungen“, einen Flacon Reseda (aber von den Deinen, mit geschliffenem Glasstöpsel) und endlich — nun bin ich gleich fertig — die längst versprochenen Inseparables und zwei Goldfische und ein Silberfischchen mitzubringen — die meinigen haben Krieg untereinander gehabt und es sind einige totgebissen worden. Ich habe bitterlich darüber geweint.

Sobald die Heilung Wolfgangs so weit vorgeschritten war, daß der Arzt ihm gestatten konnte, Besuche zu empfangen, ließ er den Steiger Krone bitten, zu ihm zu kommen, und dieser fand sich denn auch sofort bei seinem kranken Hauptmann ein. Krone war bisher der einzige gewesen, der sich Wolfgang gegenüber etwas zurückhaltend gezeigt hatte, und wenn die Kameraden ihm in der Begeisterung für den jungen Führer zu weit zu gehen schienen, hatte er wohl auch einmal geknurrt: „Neue Besen kehren gut!“ oder: „Abwarten“ und hatte still und ernst seinen Dienst gethan; stellte man ihm vor, daß er Wolfgang durch seine Zweifel unrecht thue, so hatte er wohl erwidert, daß es sich noch sehr frage, ob ihn jemand so hoch halte, wie er, daß er ihn aber noch nicht nahe genug kenne und daß er nie vorschnell urteile. Man hatte die Achseln gezuckt und gesagt: „Also auch hierin der Sonderling, der an allem herummäkelt.“ Für einen Sonderling galt Krone bei all seiner Gutmütigkeit schon lange, ja seine nächsten Bekannten nannten ihn verbissen und verbittert, weil er sich schon seit dem schleswig-holsteinischen Kriege von 1804 fortwährend in Opposition zu der „öffentlichen Meinung“ befunden hatte. Er hing noch fest und unverbrüchlich an den Traditionen von 1848, die er in seiner Weise verstand; er legte auf alle Freiheitsfragen ein viel größeres Gewicht als auf das Nationale, und es hatte ihn mehr und mehr in die Vereinsamung hineingetrieben, daß keiner von seinen Bekannten seine Anschauungen teilen wollte und daß man sich,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_54.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)