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und gab sich Mühe, ärgerlich auszusehen, aber sie widersprach nicht und ist am Ende innerlich ganz zufrieden gewesen. Man muß, glaube ich, solchen ernsthaften, schwerfälligen Persönlichkeiten, die jedes Interesse für einen Herrn gleich tragisch nehmen, als ginge es ohne weiteres auf Tod und Leben, zu Hilfe kommen, — sie machen sonst so endlose Umwege, daß die Sache unsterblich langweilig wird. Und nun, meine Leontine, kommt der dramatische Knalleffekt. Denke Dir, als Jean, steif wie ein Pfahl natürlich, schnarrend seinen Auftrag ausgerichtet hat, haben der vielvermögende Herr Hauptmann die Gewogenheit, ein Glas Ungar anzunehmen; er setzt den Helm ab und wie er das Glas an die Lippen setzt, trifft ihn ein Ziegel oder ein Schiefer, der vom Dach geflogen kommt, an den Kopf und er wird mit einer heftig blutenden Kopfwunde bewußtlos fortgetragen. Daß ich über diese Wendung scherzen kann, sagt Dir schon, daß die Geschichte nicht schlimm geworden ist; momentan bin ich ja selber sehr erschrocken gewesen und der junge Mann (und noch mehr Martha) hat mir aufrichtig leid gethan. Martha ist weiß wie eine Kalkwand geworden und hat die Hand vor die Augen gelegt — ich bin überzeugt, sie glaubte, man wolle ihr nur nicht sagen, daß er tot sei. Ein paar Minuten blieb sie noch, dann sagte sie mit einer ganz erloschenen, tonlosen Stimme, sie sei sehr müde und wolle doch lieber wieder auf ihr Zimmer gehen. Ich habe, als uns später Dorette berichtete, daß zunächst keine Gefahr für den Helden des Tages sei, an ihrer Thür geklopft, bis sie endlich Antwort gab, und vielleicht haben mir sogar ein paar kleine Thränen in den Augen gestanden, als ich ihr hastig erzählte, was ich wußte. Sie sagte — denke Dir, die Undankbare! — kein Sterbenswörtchen, aber sie küßte mich, wie sie mich in meinem ganzen Leben noch nicht geküßt hatte, so ungefähr, als wenn ich — der Herr Hammer gewesen wäre. Ich fragte sie zur Strafe, ob sie nicht das junge Mädchen beneide, das das Vergnügen gehabt habe, sich von diesem ritterlichen Hauptmann retten zu lassen und ob sie sich nicht an ihre Stelle gewünscht hätte; da gab sie mir einen leichten Schlag auf den Mund und sagte: „Aber so sei doch kein Kind!“ Und dann schob sie mich förmlich zur Thür hinaus — sie mußte es sehr eilig haben, allein zu sein mit dem Paroxismus (ich hab keine Zeit, nachzusehen, ob ich das dumme Wort richtig geschrieben habe) ihrer Freude, und sagte mir noch auf der Schwelle: „Und wenn du mir einen rechten Gefallen thun willst, so mache keine Anspielungen, wie vorhin, mehr — sie thun mir weh, und du willst doch nicht, daß ich traurig werde?“ Du siehst, es ist schon schlimm, so weit ich etwas davon verstehe. — Papa hat sich diesen Morgen durch Jean beim Arzt erkundigen lassen — es geht wirklich alles so gut, als es den Umständen nach überhaupt möglich ist. Als Diakonissin bist Du hier also überflüssig, und das wird Dir um so lieber sein, als ich mich noch ganz gut Deines beißenden Spöttelns über die Damen erinnere, die sich im letzten großen Krieg zum Dienst in den Lazaretten drängten, um, wie Du behauptetest, den Aerzten fortwährend und überall im Wege zu sein — ich mag gar nicht wiederholen,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_53.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)