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zuzusehen, die in ihrem blinden Eifer und der Finsternis über alles wegstolpern, was ihnen in den Weg kommt. Du hättest mitlachen müssen, wenn Du gesehen hättest, wie von Zweien, denen ein Gartenzaun im Wege war, der eine wie ein Reh im vollen Lauf über denselben wegsetzte, während der andere darüber klettern wollte und damit zu seiner Verzweiflung nicht recht zu stande kam. Und ein paar Schritte davon stand die Gartenthür sperrangelweit offen! Es war alles bei uns munter und wir beobachteten vom Fenster aus das Umsichgreifen der Flammen — das Haus selber war uns verdeckt — d. H. Martha trat nur ab und zu einmal ans Fenster; die meiste Zeit ging sie, die Arme ineinander gesteckt, geräuschlos, aber in einer nervösen Unruhe, im Zimmer auf und ab und gab ganz verkehrte Antworten; sie hörte offenbar nicht, was man ihr sagte. Was hat das zu bedeuten, Leontine? Am Ende gar — doch ich werde mich hüten, Konjunkturen (oder Konjekturen — wie heißt es nun eigentlich?) anzustellen. Nach einiger Zeit kommt Dorette und meldet ganz aufgeregt, daß Herr Hauptmann Hammer noch in dem über und über brennenden Hause sei und ein junges Mädchen suche, das von ihrer Tante vermißt werde. Jetzt kann ich darüber lachen, aber im Moment habe ich mich beinahe vor Martha gefürchtet, die in einen Stuhl am Fenster sank und die Stirn auf das Fensterbrett legte und mir gar keine Antwort gab, als ich sie schüchtern anrief. Ich hatte wirklich nicht das Gefühl, als könne diesem verwegenen Herrn Hammer etwas zustoßen; Vater war schon bedenklicher, schnipste nachdenklich mit den Fingern und meinte: „Das wäre nun am Ende nicht nötig gewesen.“ Es mag wohl nicht gar so viele Minuten danach gewesen sein, aber die Zeit ist uns natürlich peinlich lang geworden, als Dorette wieder Rapport brachte — und diesmal stotterte sie und verschluckte sich vor Eifer, Rührung und Freude. Da hatte Dir also der tollkühne Mensch das Mädchen wirklich gefunden und sie auf seinem Arme die Leiter heruntergetragen — sie war ohnmächtig gewesen, ist aber dann wieder zu sich gekommen. Nun wußten wir auf einmal, warum kurz vorher von der Brandstelle herüber ein Hurrageschrei kam - selbst Martha war in die Höhe gefahren und hatte uns angesehen, als wollte sie fragen: „Was heißt das? In Sicherheit?“ Aber das dicke Ende kommt erst nach. Als Papa hörte, daß Herr Hammer seelenruhig das Kommando führe, meinte er, man solle ihm wohl ein Glas Wein anbieten, Portwein, Sherry oder so etwas, und Jean könne es hinübertragen. Ich habe Martha in meinem Leben noch nie eine so fabelhafte Geschwindigkeit entwickeln sehen, als in diesem Augenblick, und bei aller Eile hatte sie doch noch so viel Geistesgegenwart, zu überlegen, daß dem ehemaligen österreichischen Freiwilligen ein Glas Tokayer am willkommensten sein werde. War das nicht eine feine Aufmerksamkeit — so fein, daß sie der gröberen männlichen Seele wohl entgangen sein wird? Jean glotzte mich mit seinen dummen Fischaugen so albern als möglich an, als ich ihm voll Uebermut in Marthas Gegenwart auftrug, einen Gruß von Papa und ihr auszurichten — sie wurde ganz rot

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_52.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)