Seite:Ein verlorener Posten 48.jpg

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bequemen Sofas, selbst Proud hatte den Kopf zwischen die Vorderpranken genommen und nur das tiefe Atemholen der beiden so ungleichen Schläfer und das hastige, rastlose Ticken des goldenen Chronometers, der auf dem Tische lag und die gemessenen, leisen Pendelschläge des Regulators an der Wand unterbrachen die Stille im Gemach. Da fuhr Wolfgang, der mit dem Gesicht gegen das Fenster gelegen hatte, plötzlich erschrocken auf. Ein von seitwärts kommender Feuerschein blendete ihn momentan und er hörte deutlich das ängstliche, stoßweise Feuersignal des Nachtwächters und den Ruf: „Feuer! Feuer!“ Im Nu war er in die Stiefeln und in die Uniform gefahren, hatte den Helm aufgestülpt, Proud, der munter geworden war und unruhig mit dem Schweife schlug und seinen Herrn erwartungsvoll ansah, ein: „Dableiben, Proud!“ zugeherrscht, und nun stürmte er fort, unterwegs erst den Gürtel zusammenschnallend. Das Haus war verschlossen — aber er hatte den Schlüssel in der Brusttasche der Uniform und befand sich sogleich auf der Straße. Aus allen Fenstern der Vorderfront eines benachbarten einstöckigen Hauses schlug die rote Lohe, dichter Rauch wälzte sich aus der offenstehenden Hausthür, und einige Leute, die sich in allernotdürftigster Bekleidung aus dem Hause geflüchtet hatten und noch wie vor den Kopf geschlagen und vor Entsetzen halb sprachlos waren, sahen ihn wie geistesabwesend an, als er ihnen hastig zurief: „Ist noch jemand drinnen oder haben sich alle gerettet?“ Da schrie plötzlich ein altes Weib, das in sich zusammengesunken auf einem Bündel gesessen und das Gesicht mit den Händen bedeckt hatte, laut aus: „Wo ist meine Anna? Ist Anna nicht da?“ Und durch rasche Fragen ward ermittelt, daß ein junges Mädchen, eine Verwandte der Alten, noch im Hause sein müsse. Die alte Frau wußte selbst nicht recht, wie sie aus dem Hause gekommen war, nachdem sie den Flurnachbar mit der Faust an ihre Thüre schlagen und „Feuer!“ rufen gehört hatte, und die Familie dieses Hausgenossen, eines Tischlers, hatte zu viel mit der Rettung des eigenen bedrohten Lebens zu thun gehabt, als daß sie an das junge Mädchen hätten denken können, das in einem Alkoven schlief. Wolfgang ließ sich die Lage desselben angeben, tauchte sein Taschentuch in den Röhrtrog und rief einem älteren Manne von der Steigerabteilung, der in vollem Laufe atemlos auf ihn zukam, zu, daß er versuchen werde, auf der Treppe in die Wohnung zu gelangen und daß jener zusehen solle, ob er vielleicht auf der Rückseite des Hauses noch eine Leiter anlegen oder eine Steigerleiter einhängen könne — auch dort schien freilich die Flamme schon aus allen Fenstern zu schlagen, doch war dies in der Dunkelheit und bei dem unsicheren Flackerschein der Flammen nicht zweifellos zu erkennen und zu genauer Untersuchung war keine Zeit. Das Tuch vor den Mund nehmend, kroch Wolfgang, um weniger von dem erstickenden Qualm zu leiden, die bereits von den knisternden, prasselnden Flammen ergriffene Treppe empor und gelangte glücklich in die Wohnung der Alten und vor den Alkoven, der in der Mitte eines schmalen Ganges lag. Am einen Ende desselben hatte er ein

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_48.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)